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„Seid bereit – immer bereit!“

Ich mag die MamaNotes ja persönlich ebenso wie auf ihrem Blog, weswegen ich ihrem Aufruf gerne folge, etwas aus meiner Vergangenheit zu schildern.In diesem Post soll es um meine Sicht gehen. Der nächste wird ein Interview – mit der Frau, die das Mamasein in der DDR direkt erlebt hat – meine Mutter, Jahrgang 1951, Vollblut-DDR-Gewächs.

Zu mir

Ich bin ein Wossi, nix halbes, nix ganzes. 1977 geboren, ab 1998 „im Westen“ lebend. Ich war ich bereits 12 Jahre alt, als die DDR für mich ziemlich überraschend die Grenzen öffnete. Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Berichterstattung zum „40. Jahrestag der Republik“ seltsam distanziert war; die Proteste, über die so gut wie nichts in der Pampa, aus der ich komme, zu erfahren war, habe ich überhaupt nicht mehr in Erinnerung. Und bis zum Tag drauf, an dem wir mit der gesamten Familie mit einem Bus 15km bis über die Grenze fuhren, war mein Leben ein schönes.

Ich wuchs in Salzwedel auf, einem kleinen Nest unweit der deutsch-deutschen Grenze. Ich liebe meine Kindergärtnerin innig, sie war so etwas wie meine zweite Mutter; selbst am Wochenende besuchte ich sie bei sich zuhause, weil sie unweit von uns im klassischen DDR-Plattenbau wohnte. Für mich war diese Art zu wohnen, den ganzen Tag in der KiTa zu verbringen und rund um die Plattenbauten herum zu spielen, etwas völlig normales.

Als ich in die Schule kam, änderte sich das Leben etwas – da die Schule quasi 70m von unserer neuen (ebenfalls Plattenbau-)Wohnung im 5. Stock entfernt war, konnte ich um 6:45 das Haus verlassen, und trotzdem rechtzeitig 10 vor 7 das Schultor passieren. Unvergessen der Graus davor, aufgeschrieben zu werden (von Schülern höherer Jahrgänge), weil man nicht 10 Minuten vor Unterrichtsbeginn – 7 Uhr – auf dem Schulgelände angekommen war.

Vom ersten Tag an wurde man in die Pionierorganisation integriert, musste Montags zum Fahnenappell mit Pionierhemd/-bluse und Halstuch in der großen Pause auf dem Platz stehen. Bis zur 7. Klasse musste man dann „Immer bereit!“ brüllen, wenn von vorn „Seid bereit!“ ertönte, die „Großen“ brüllten „Freundschaft!“ in ihren blauen Hemden der Freien Deutschen Jugend, der FDJ.
Was genau dann von vorn vorgetragen wurde, war so gähnend langweilig, dass ich mich nicht mehr daran erinnere, wohl jedoch an das beständige Zischen der Klassenlehrerin, wir mögen doch bitte ruhig sein.

In der Schule sollte jeder im Gruppenrat der Klasse mal ein „Amt“ übernehmen. Ich spielte lieblos den „Agitator“, also das arme Schwein, dass die Wandzeitung aktuell halten durfte. Immer mal wieder aktuelle Zeitungsschnipsel dranbappen, wenn die Pionierorganisation wieder eine Planübererfüllung vermelden konnte.

Was ich geliebt habe, waren die Sommer im Ferienlager – jedes Jahr konnte ich, seit ich 9 war, für zwei Wochen in den Sommerferien in einen Urlaub nur mit Kindern, betreut von jungen Erwachsenen. Unvergessen, wie wir – ich wurde 4 Tage später 9 – im Ferienlager mit den „Erziehern“ ein selbstorganisiertes Kino genießen konnten. Noch unvergessener, was für einen Film sie besorgten hatten: „Blood Sport“ in der ungeschnittenen Version. Wir mussten bei unserem Leben schwören, dass wir die Schnauze hielten, dafür durften wir ihn mit sehen. Was haben wir uns bolle stolz und erwachsen gefühlt!
Rübeland im Harz mit seinen Tropfsteinhöhlen. Ein Zeltlager nahe Schwerin an der Mecklenburger Seenplatte. Ostsee. Nochmal Rübeland, mit 12 – eine tolle Zeit. Kein politischer Schnickschnack, Kindheit und Spannung pur.

Unvergessen

1. Wir sind mit einem LKW-Bus-Hybriden aufs Feld gefahren, um Kartoffeln zu lesen, die mit der Maschine nicht mitgenommen wurden. Im kompletten Klassenverband der Schule.

2. Der Besuch in der Kaserne der NVA: Gesangsprogramm, Führung übers Gelände, Interesse der Soldaten an den Jungs, wofür sie sich interessierten. Was ich damals erstaunlich fand: Die interessierten sich ehrlich dafür. Das kannte ich von zuhause gar nicht. (Das ist aber eine andere Geschichte. Später.)

3. Der Besuch in der Kaserne der Russen: Gleiches Programm, um Welten rustikaler. Und weil auch das Gestikulieren mit Händen und Füßen der Klassenlehrerin nicht reichte, um sich zu verständigen, führten sie uns schließlich in die Waffenkammer und drückten uns die wahnsinnig schweren Kalaschnikows in die Hand. DAS war beeindruckend, wenngleich auch damals schon extrem creepy.

4. Subbotnik – Aufräumtag in der Schule. Rabatten von Unkraut reinigen, Hof fegen, Fenster putzen. Was hab ich das gehasst.

5. Ich bin mehrfach zum Grenzbalken gefahren. Direkt vorm Schlagbaum stand ich, dahinter begann die Sperrzone, die nur noch mit Passierschein erreichbar war. Und dahinter war „das andere Deutschland“. Damals fragte ich mich nur, wie das dort wohl tatsächlich ist. Die Fragen zu dem Warum kamen erst zu der Zeit, als Fragen plötzlich OK waren.

Erinnerungen

Den Bananenmythos habe ich übrigens zu keinem Zeitpunkt verstanden – wir hatten Südfrüchte in den Achtzigern genauso saisonal zur Verfügung wie das im „Westen“ vermutlich damals auch noch üblich war. Was – zumindest in Salzwedel – echte Mangelware war, waren Melonen. Die schafften es gar nicht erst in den „Konsum“ oder die „Kaufhalle“ – die wurden direkt vom Hänger runter verkauft. Die Waren des täglichen Bedarfs gab es meiner Erinnerung nach immer – Fernseher, Nylon-Strumpfhosen (in der DDR hieß das glaub ich Dederon), Autos, das war schwieriger und wesentlich teurer. Aber das interessierte mich als Kind natürlich auch nicht. Dass der Rondo-Kaffee 8 Mark 25 für 125g kostete, daran erinnere ich mich, schließlich kaufte ich die Waren des täglichen Bedarfs bereits mit 8 Jahren regelmäßig allein ein, Mutter war arbeiten (von morgens halb sieben bis nachmittags halb vier). Milch 32 Pfennig plus 20 Pfennig Pfand, Brötchen 5 Pfennig. Und in den Soltmann-Bierflaschen, die ich für meinen Erzeuger ab und zu mitbringen sollte, schwammen ab und zu mal tote Mäuse.

Als unser Musiklehrer mal aus dem Unterricht zitiert wurde und, wie wir im Nachhinein erfuhren, vor der Kreisparteizentrale Rede und Antwort stehen musste, weil er uns mal eine „Sendung mit der Maus“ empfahl, produzierte das bei mir als 11-jährigem ein Stirnrunzeln.
Pakete von der Großtante mütterlicherseits aus dem Westen liefen über die Arbeitskollegin meiner Mutter, weil mein Erzeuger als Polizist natürlich keinen Westkontakt haben durfte.
Der Fernseher stand so, dass man von außen vom Nachbarblock nicht erkennen konnte, welche Programm lief (weil wir als Polizistenkinder natürlich auch kein Westfernsehen hätten sehen dürfen.) 3km Luftlinie von der Grenze hatten wir den Luxus von 3 West-Sendern: ARD, ZDF und N3 in bester Qualität.

Als ich anfing, die unbequemen Fragen zu stellen – „Was war das für eine Aktion mit unserem Musiklehrer?“ „Was soll das mit dem Westfernsehen?“ „Warum muss ich Pionierarbeit machen, wenn ich das blöd und langweilig finde?“ – stürzte das System in sich zusammen. Und mit dem Systemwechsel brach auch das Weltbild meiner Eltern zusammen. Diese tiefe Verunsicherung, dass alles, was sie sich aufgebaut hatten, alles, was zum Selbstverständnis ihres Lebens gehörte, die Kollegialität, die Nachbarschaftlichkeit, das Gruppengefühl, Teil eines Ganzen zu sein, die übertrug sich und bremste auch mich für Jahre. Die Trennung meiner Eltern (auch das war wohl in der DDR häufiger der Fall) half da auch nicht grad, gehört aber wieder zu der andermal kommenden Geschichte.

Fazit

Das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, das hab ich noch heute. Es fällt mir leichter, mich einzuordnen. Ich habe diese Unsicherheit nicht mehr, die ich längere Zeit von meinen Eltern mitnahm. Die Politik hat, gerade, als ich anfing, kritische Fragen zu stellen, für mich als Kind keine Rolle gespielt.

Ähnlich wie Dani habe ich von Mutters Kinderziehungsmythen im Nachhinein genießen dürfen, die ich gern zu ihrer Kreislaufanregung ignoriere.

Und die Kopfnoten des Zeugnisses sahen auch bei mir  – damals schon zarter Widerborst – aus wie im Header des Twitter-Profils von Heike. 😉

PS: Wer es noch nicht gelesen haben sollte: Eine tolle Beschreibung der DDR-Jahre findet sich in Jana Hensels grandiosem Werk „Zonenkinder„, das exakt das Lebensgefühl widerspiegelt, wie ich über „damals“ empfinde.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

3 Kommentare

  1. Spannende Geschichte, die zeigt, daß Kinder sich das raussuchen was ihnen gefällt und zunächst von den Eltern ungefiltert übernehmen.
    Selbst bin ich 15 km von der innerdeutschen Grenze auf der anderen Seite aufgewachsen und fand es sehr spannend in das andere Deutschland zu fahren. Nur die Kontrollen im Zug waren beängstigend.
    Im September ’89 ins Gymnasium gekommen, hatten wir bereits zum zweiten Halbjahr zwei Kinder aus Thüringen in der Klasse und es war spannend zu hören, was sie über ihr altes Leben erzählten.
    Kritisch wurde ich erst als ich verschiedene Bücher zum Thema las. So mit 12/13. Da kamen dann Fragen auf, wieso manche Ostverwandte in gehobener Stellung arbeiten konnten obwohl sie angeblich gegen die Partei waren. Die Wahrheit kann ich mir jetzt denken. Gesagt hat sie keiner.
    LG
    Suse

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    • Bei uns wars so unpolitisch zuhause, wie’s nur eben geht. Was für Scheiße im Hintergrund lief, hab ich auch erst Jahre später realisiert… danke für deinen Kommentar!

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  2. Wie unterschiedlich die Erlebnisse doch sein können 🙂 Aber Ferienlager: großartig. Ich war sowohl als Kind als auch als Betreuerin dort (Nähe Salzwedel übrigens!) und vermisse das heute für meine Kinder sehr. Ich muss mal selbst was dazu texten.

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