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Fuck you, Deutschland

Dieser Text erschien zuerst auf Martins Blog und in seiner Whatsapp-Gruppe, die er zu Beginn seiner Reise nach Idomeni ins Leben gerufen hatte. Seine Berichte begleiteten mich in einer auch persönlich sehr bewegenden Zeit; sie begleiten mich noch heute. Und gerade jetzt, wenn sich wieder viele Menschen ob einer Männer-Fußball-Europameisterschaft Fahnen schwenkend mit diesem Staat identifizieren, ist es mir wichtig, das Folgende nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: Fuck you, Deutschland.

„Als ich vor zwei Wochen aus Athen zurück nach München flog, war es wieder da. Dieses ekelhafte Gefühl des Sterilen und der Kühle kroch wieder hervor und umschlang meine Kehle.

Ich hatte den Eindruck, kaum atmen zu können, im Anblick der sauber geteerten Straßen, blitzenden Glaspalästen und wohl gekleideten Bürger*innen. Noch vor Kurzem hatte ich Menschen in die Augen gesehen, denen das Geld zum Essen kaufen ausgegangen war und jetzt: Deutschland.

Diese scheinbare Perfektion stach mir ins Gesicht. Bis heute fühle ich mich unwohl, wie ein Fremder, der seine einstige Heimat als solche nicht wieder erkennt. Ich möchte ungern das Wort »Kulturschock« benutzen, weil das nichts mit Kultur zu tun hat. Kapitalismus-Horror, das trifft es besser. Dieser Horror mündet schnurstracks in eine Ohnmacht, und ich fühle mich häufig eingesperrt.

Ich kann mit diesem Deutschland immer weniger anfangen, wenn ich aus Krisengebieten zurückkomme. Ich öffne dann die Augen, schaue mir unseren Reichtum an und denke: Ja, genau, das ist es, worauf dieses Land wert legt. Selbstoffenbarung einer Nation, die nur deshalb reich ist, weil andere arm sind. Fuck you, Deutschland.

Und nein, liebe Leser, damit meine ich *nicht* Euch. Ich meine damit dieses Konstrukt eines Staates und seine äußeren Wiedererkennungsmerkmale. Wie zum Beispiel Platz drei auf der Rangliste internationaler Waffen-Exporteure.

Diese Gleichzeitigkeit ist häufig zermürbend für mich. Es ist, als ob all die Privilegien, die ich einst für völlig normal erachtet habe, plötzlich zu einer Zwangsjacke werden. Und es ist mir übrigens scheißegal, wie 11 Multimillionäre bei der EM abschneiden, die für die sportlichen Repräsentanten dieser Nation gehalten werden.

Der mit dem Fußball aufkommende Partypatriotismus ist mir dermaßen zuwider und die Auswüchse all dessen haben wir in Lille, Berlin und überall sonst, wo Nazis stolz Reichskriegsflaggen und Deutschlandfahnen wehen, gesehen.

Schutzbedürftigen auf der Flucht in die Augen zu sehen, hat etwas gemacht mit mir. Ich bin emotional weicher geworden, empathischer und vielleicht sogar ein bisschen klarer. Ich bin aber auch entschlossener und direkter geworden, was meinen Ekel auf die westliche Welt, die fucking EU und damit auch dieses Land ausdrückt.

Ich war nie stolz, Deutscher zu sein, ich habe diesen Staat nie geliebt und ich werde es auch nicht mehr. Ich bin nicht in Deutschland zuhause, sondern auf der Erde.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

13 Kommentare

  1. Ich kann Martins Einstellung sehr gut nachvollziehen. Wären in seinem Blog Kommentare möglich, hätte ich ihn aber gefragt, ob er sich schon mal darum bemüht hat, die Staatsangehörigkeit eines Landes zu erlangen, für das er weniger Ekel empfindet.

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