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Ein Versprechen

Dieser Beitrag erschien zuerst auf schnipsflaus.ch.

Als 2014 Johannes Korten seine Radtour dem #teamschnipsflausch widmet, der digitalen Wolke, die Heike umgibt und ihr Kraft, Mut und stets ein Ohr schenkt, sage ich spontan zu, es ihm gleichzutun: Ich bin auf keiner Radtour, werde aber seinen Spendenbetrag verdoppeln und so das NCT in Heidelberg in der Forschung gegen den Krebs unterstützen.

In 2015 ist es nicht anders. Während sich in Heidelberg ein ungleich größeres #teamschnipsflausch als noch in 2014 zusammenbraut, bin ich an just jenem Wochenende auf einer Hochzeit. Trotzdem mag ich etwas beitragen, wenngleich ich nicht vor Ort sein kann. Und dieses Versprechen geb ich gern.

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Warum?

Es ist Januar, und es ist kalt. Es ist ein Weilchen her, dass mein Bruder von einer Klassenfahrt nach Paris zurückkehrend eine augescheinlich auffällige Beule am Hals hat. Die fast schon klassische Aversion der Altvorderen, gleich zum Arzt zu gehen, ignoriert er.
Wenige Tage später wird er bereits operiert: Die Beule am Hals, ein extrem geschwollener Lymphknoten mit angesammeltem Tumorgewebe, ist ebenso entfernt wie der eigentliche Tumor hinter dem Auge.

Die Diagnose

Die Analyse des Labors ergibt: Es ist ein Rhabdomyosarkom, ein Weichteilkrebs. Die Ärzte gehen aufgrund der Größe des entfernten Lymphknotens davon aus, dass sich bereits Metastasen gebildet haben. Sie geben meinem Bruder noch ungefähr drei Monate.

Life is what you make of it

Ihn interessiert das nicht. Das Vollprogramm seiner Therapie – OPs, Chemotherapie, Bestrahlung – erträgt er mit einer Kraft und Geduld, die das Klinikpersonal der Kinderstation in Magdeburg in Ehrfurcht versetzt. Bei der allerersten Chemo erbricht er sich. Danach nie wieder. Er kämpft sich zurück ins Leben, gleichwohl die Krankheit an ihm zehrt. Seine Lebenslust ist ungebrochen, er hat mehrere Freundinnen, wie so ein Teenager eben lebt. Ich nenne ihn liebevoll Kojak. Wir thematisieren seine Krankheit, auch wenn unsere Mutter davon nichts hören will.

Murmeltiertag

Bei einer der Nachuntersuchungen passiert es schließlich: Es wird ein neuer Tumor entdeckt, diesmal im Oberschenkel. Das ganze Programm nochmal. Trotz immunologischer Bedenken – des Intensivbeschusses wegen hat der Körper faktisch keine eigenen Widerstandskräfte mehr – rücken wir enger zusammen, schlafen beieinander, schenken uns Wärme. Nähe.

Auch der zweite Durchgang hinterlässt Spuren. Doch uns ist das egal. Wir sprechen stattdessen zu zweit über Strategien, was passieren könnte, wenn er es nicht schafft. Darüber, dass unsere Mutter mit ihrer Verweigerungshaltung, auch nur ansatzweise diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, uns tiefe Sorgenfalten beschert. Sie hat noch mehr Kinder, die sie brauchen, sie hat Enkel. Einen Mann.

Ein Versprechen

Es ist Januar, und es ist kalt. Mehr als zweieinhalb Jahre ist es her, dass mein Bruder von der besagten Klassenfahrt heimgekommen ist. Es werden erneut Metastasen gefunden, in mehreren Organen. Die OP ist schnell vorbei, die Ärzte entfernen kein Gewebe.

Uns allen ist klar, was das bedeutet. Mein Bruder entschließt sich, nach Hause zu kommen. Keine Klinik mehr, die Opiate werden vom Hausarzt gespritzt. Er nimmt mir ein Versprechen ab:

„Leb dein Leben. Lieb, wen immer du in dein Herz schließen kannst. Jeden Tag wieder. Schau, dass Mama bleibt.

Leb mein Leben.“

Schnips

Sie kann es nicht wissen, vermutlich nicht mal erahnen, wie viel Liebe und Mitgefühl ich für sie empfinde, als ich Anfang 2014 eher durch Zufall erfahre, dass sie eine Krebsdiagnose in der Schwangerschaft hat. Relativ neu in meiner Timeline auf Twitter, nimmt das damalige Frollein Schnips im Nu einen Platz im Herzen ein, direkt neben meinem Bruder. Hand in Hand sitzen die beiden dort, mit der gleichen Offenheit, den gleichen Zweifeln, dem gleichen Lebensmut, dem Willen.

Wir sind uns noch immer nicht über den Weg gelaufen. Und doch kann ich mit Verlaub behaupten, dass ich sie liebe. Jede kleine Facette, jeden guten wie schlechten Tag. Wie könnte ich anders?

Menschen wie ihr eine Zukunft im Leben zu ermöglichen, Menschen, die an Krebs erkranken, gleich in welcher Lebenslage – dabei helfen Spenden an die Krebsforschung.

Darum.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

25 Kommentare

  1. Pingback: Unsichtbar krank – Steffen und Rheuma | feierSun.de

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