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Statt Blumen.

Es begann mit einem harmlosen Kaffee an einem Samstag, genauer gesagt einem Latte Macchiato.
Sechs Wochen später sollte ich nach Irland auswandern, ein neuer Job, ein neues Leben. Die Wohnung war bereits gekündigt, der Nachmieter übernahm auch die Küche, alles andere würde mit umziehen. Die Spedition war bestellt, der Job in Neckarsulm gekündigt. Ich plante nicht, jemals wieder nach Deutschland zurück zu kommen. Irlands Mentalität, besonders auf dem Land, entspricht meinem Innersten.

Abgeschlossen mit allem, auf Verabschiedungstour durch Süddeutschland, dass mich seit 1998 begleitete – erst beim Studium, später im Job – machte ich auf dem Weg zu den Eltern meiner Ex-Freundin (mit denen ich bis heute freundschaftlich verbunden bin) einen kurzen Zwischenhalt in Stuttgart. Warum? Um mit einer diskussionsfreudigen Studentin, mit der ich zahlreiche Wortgefechte in den Foren einer im Schwerpunkt süddeutschen Chatcommunity – Kwick – geführt hatte, einen Kaffee zu trinken. Dass wir einmal persönlich gesehen haben, mit wem wir da so diskutiert haben, bevor sich jeder seinen weiteren Lebensplänen widmet. Wir standen beide vor Veränderungen: Sie wollte ihr Deutsch-/Englisch-Lehramtsstudium beenden und sich ihrem ursprünglichen Ziel – Musik zu studieren – widmen, ich wollte in meine Seelenheimat.

Wir tranken einen Kaffee, ich beendete das leiden einer Fliege, die sich partout nicht aus dem Schaum meines Kaffeerestes lösen wollte, wir unterhielten uns, ich begleitete sie zum Zug, der sie nach Hause zu ihren Eltern brachte. Ein unverfängliches, die Sympathie widerspiegelndes Abschiedsküsschen auf die Wange landete auf dem Ohr, weil sie gerade, sich auf dem Weg in den Zug machend, den Kopf wegdrehte.

Ich setzte mich ins Auto und fuhr zu den Eltern meiner Ex-Freundin.

Die grüne Insel

Gut zehn Wochen später, Irland. Ich war da, die Lehramtsstudentin auch.

Die Sympathie war nach wie vor vorhanden, Irland hin oder her. Allerdings besuchte sie mich nicht dort.

Wir waren beide Gäste.

You know it when you feel it

Was war passiert? Auf dem Weg nach Hause an diesem Juniwochenende im Jahr 2005 war ich seltsam klar im Kopf. Als wäre plötzlich ein Schleier vor meinen Augen entfernt worden, nur eben im Kopf drin, nicht davor.
Ab hier lief alles wie von selbst: In der kommenden Woche wurde ich beim Geschäftsführer vorstellig, um den Rückzug der Kündigung bittend. Dem irischen Chef erklärte ich ruhig aber bestimmt, dass der Grund, warum ich nach Irland kommen wollte – die Mentalität Irlands „Life first, then work“ – der Grund sei, warum ich das genau nicht mehr zu tun gedenke.

Ich suchte mir eine neue Wohnung, die alte war bereits neu vergeben. Bei der Gelegenheit auch gleich etwas näher an Stuttgart. Ich gab der Lehramtsstudentin einen Schlüssel, schrieb ihren Namen an den Postkasten und auf die Klingel. „Komm wann du willst, geh wann du willst.“, war alles, was ich dazu sagte.

Dabei blieb es bis heute. Damals in Irland, im August 2005, zogen wir uns scherzeshalber Ringe aus einer Gummibärchentüte über die Finger. Im August 2006 nahmen wir statt Süßkram Gold.

Ich verschenke nicht gern tote Pflanzen. Statt Blumen widme ich also dir, Anne, diese kleine Erinnerung. An den Tag vor 10 Jahren. An die Gefühle, die sich damals so unerklärlich nüchtern, kraftvoll und selbstverständlich breit machten, als ob sie selbst besser als alle anderen wüssten, dass das für ein Leben zu Zweit reichen wird. An alles, was wir inzwischen zusammen erlebt haben: Die vielen Reisen nach Irland, Neuseeland, Italien, Portugal, auf die Kanaren. An die Zeit in Mittenwald, in der du deinen Traum von Musik und Handwerk vereint in einer Lehre verwirklichen konntest, auch wenn es eine harte Zeit war. An unsere Hamburger Anfänge. An unser selbst entworfenes Zuhause, an die beiden nervenzehrenden, Glück schenkenden Kids.

Keinen Tag von diesen dreitausendsechshundertzweiundfünfzig Tagen möchte ich missen, auch keinen der doofen.

Danke für alles. <3

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

14 Kommentare

  1. Pingback: Warum wir immer ohne Navi unterwegs sind oder auch: Kennenlernen mit ohne Umweg • Nullpunktzwo

  2. Das klingt so gut. Und so stabil und so bekannt. Bei mir war es Norwegen. Ich war auch schon fast weg. Nur noch schnell ein paar Dinge erledigen in Deutschland. Da kam ER dazwischen.

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