Artikelformat

Elterngespräch reloaded

Vor kurzem noch war ich unsicher, ob und wie überhaupt unsere Große die KiTa besuchen sollte. Nach dem Elterngespräch, das wir mit den beiden Erzieherinnen einforderten, sah ich die Situation in einem neuen Licht, wenn gleich auch nicht alle Bedenken beseitigt waren:

Wir beschlossen, das Fleischbärchen verkürzt in der KiTa zu lassen, um ihr die vermeintliche Frustration des späten Abholens zu ersparen. Nach etwas mehr als einer Woche lässt sich ein erstes Fazit ziehen:

Richtige Entscheidung – mit Pferdefuß

Die Stimmung ist definitiv besser, die abendlichen Agressionen geringer, die Aversion gegen die KiTa und die Abschiedsdramen sind quasi minimalisiert. Trotz dem Wegfall der Hauptbezugsperson in der Gruppe (möge ihr zweijähriger Job in Dubai ihr viel Erfahrung bringen) geht das Kind lieber in die KiTa als zuvor.

Allein: Durch den Mittagsschlaf, der in der Krippengruppe Standard ist, zieht sich der Abend ewig. Während der kleine Bruder spätestens gegen sieben, halb acht abends quasi umfallend einschläft, denkt seine große Schwester nicht dran. Stattdessen wälzt sie sich durch ihr Bett, singt, erzählt – und das in einer Lautstärke, die dazu führt, dass der kleine Bruder früher oder später wieder davon erwacht. Alle Versuche, sie von einer leiseren Gangart zu überzeugen, werden mit entsprechend lautstarkem Protest boykottiert – mit gleichem Resultat. Auspowern durch Spielen im Garten bis neun Uhr abends? Egal. Gleiches Ergebnis.

Und was passiert dann? Sie schläft irgendwann ein, der kleine Bruder turnt derweil, durch das abendliche Nickerchen gestärkt, bis Ultimo.

statt Schlaf: Zimmererkundung spätabends

statt Schlaf: Zimmererkundung spätabends

Neue Optionen

Doch es gibt neue Optionen: Als Update zum letzten Post über diese vertrackte Situation hatte ich erwähnt, dass der Zuzug meiner Altvorderen in greifbare Nähe zu rücken scheint: Ein Käufer für ihr bisheriges Anwesen ist gefunden, der Notartermin ist in wenigen Tagen.

Noch besser: Die prompt einberufene Wohnungssuche führte ebenso prompt zum Erfolg: Eine Erdgeschossbleibe mit Terrasse, Keller und drei Zimmern in knapp 2,5km Entfernung ist gefunden, der Mietvertrag geht den beiden zu.

Damit gäbe es unter Umständen ab dem neuen KiTa-Jahr die Möglichkeit, dass die Große entweder früher durch die Großeltern abgeholt wird. Oder aber, dass ein regelmäßiger Besuch bei den Großeltern (nicht täglich, wohl aber deutlich häufiger als der bisher einmal im Monat stattfindende Besuch) und ein Au-Pair oder Spielkreis die KiTa ersetzen.

Porzellankisten und das Ding mit der Vorsicht

Nun sind ja Großeltern nicht unbedingt in jedem Fall ausgebildete, zeitgemäße Pädagogen. Und so begab es sich, dass am letzten Wochenende beim obligatorischen Monatsbesuch meiner Eltern das Thema „Erziehung“ auf den Tisch kam. Grund: Natürlich lesen die beiden hier mit, und unsere Zweifel und Unsicherheiten in Bezug auf die KiTa und die Situation führten zuerst mal zu den klassischen Parolen: „Ihr macht euch zu viele Gedanken!“, „Das Kind gehört in die KiTa, andere Kinder gehen da auch hin.“, „Stellt euch nicht so an, das ist nun mal so.“

Das Gespräch schien zwei Fronten herauszuformen, bevor wir schließlich – ausgerechnet über den Umweg meines Revolutionsartikels zu Hierarchien und Netzwerken – einen gemeinsamen Nenner fanden:

Es ist nicht wichtig, eine gleiche Meinung zu haben. Es ist wichtig, die Einstellung der/des anderen als gleichwertig zu erachten.

So simpel die Erkenntnis, so tiefgreifend die Auswirkungen: Natürlich sind meine Eltern in ihrer Generation in festen Hierarchien aufgewachsen. In der DDR war die Produktivität jeder Person maßgeblich für den Erfolg des ‚Arbeiter- und Bauernstaates‘. Politisch und gesellschaftlich war das Leben komplett durchstrukturiert und hierarchisiert, von der Prägung ihrer eigenen Eltern ganz zu schweigen.
Unter diesem Gesichtspunkt sind nun auch ihre Einstellungen nachvollziehbar, dass sich die Kinder den wirtschaftlichen Gegebenheiten – beziehungsweise den Wünschen der Eltern unterzuordnen haben.

Unser Ansatz ist ein anderer. Im Rahmen der Möglichkeiten möchten wir den Umgang mit den Kindern auf Augenhöhe leben. Das klappt natürlich nicht immer, weil wir weder Reinkarnationen von Jesper Juul noch perfekt sind. Das kostet auch Zeit und Energie – viel Zeit und Energie.
Aber das ist es uns auch wert. Ich hab ganz ehrlich keinen blassen Schimmer, was aus den Kids mal wird. Heute war tatsächlich das erste Mal, dass sie das Fleischbärchen dazu äußerte, nachdem sie erfreut feststellte, Papa sei ja jetzt nicht mehr krank. Sie möchte Kinderärztin werden – weil sie Kindern helfen will, gesund zu bleiben, so ihre Worte. (Dass der Mama und mir prompt das Salzwasser in die Augenwinkel stieg – geschenkt. Das wird sich noch zig mal ändern. Aber der Ansatz, die Begründung: Das stimmt mich hoffnungsfroh.)
Sollen sie werden, was sie wollen – persönlich, beruflich, menschlich: Von der Überlebenskünstlerin bis zur Europäischen Kanzlerin, von der Hausbesetzerin bis zur bieder-häuslichen Existenz. Wichtig ist mir, sie können für sich selbst Entscheidungen treffen, Erfahrungen sammeln und darauf basierend sich ihr Leben selbst gestalten. Ich lieb die beiden süßen Nervenräuber, ich kann gar nicht anders, und ich werd jedwede Entscheidung nach Kräften unterstützen.

Die Generationen übergreifende Quintessenz

Schlussendlich finden wir sogar einen gemeinsamen Nenner, der uns an diesem langen Diskussionsabend bis spät nach Mitternacht eint:

„Wenn es den Kindern gut geht, geht es uns gut.“ – Ein Satz, den beide Generationen am Tisch aufrichtig meinen und sagen.

Wir mögen andere Herangehensweisen haben, wir mögen unsere Bedenken und Zweifel hier im Netz ausgießen und uns möglichen Hämekommentaren aussetzen, wir mögen uns von eurer Unterstützung aufgerichtet und bestätigt fühlen – Dinge, die meine Eltern weder nachvollziehen können noch selbst so leben wollen. Aber sie vertrauen in unsere Entscheidungen, sie merken, um wieviel zuversichtlicher wir nach den Diskussionen auf dem Blog und auf Twitter sind.

Vertrauen. Auf Augenhöhe. Eine gute Basis für die Zukunft, gleich welche Entscheidungen wir für unsere Familie, mit und für unsere Kinder treffen. Danke, Mama. Danke Papa.

Spaziergang in Bayern

Ich hab euch lieb.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

25 Kommentare

  1. Ich finde es toll, dass deine Eltern ihre Unterstützung zugesagt haben. Es ist nicht selbstverständlich in der heutigen Zeit – manche Großeltern sind einfach zu beschäftigt (mit sich selbst oder ihren Hobbys), um ihren Enkeln so viel Zeit zu widmen. Mir zeigt es, dass sie ihre Enkel sehr lieben müssen, denn es ist ja auch anstrengend, auf zwei so kleine Kinder (oder auch nur eins davon) aufzupassen. Also *Daumen hoch* für deine Altvorderen!

    Natürlich hat die Generation unserer Eltern noch eine andere Vorstellung von Erziehung – diese war damals eben auf die Gegebenheiten damals angepasst. Aber sie sehen ja auch, dass heute ganz andere Ansprüche an Kinder und Jugendliche gestellt werden (weniger fleißige, angepasste Arbeitsbiene, mehr innovativ denkender und selbständig ausführender Mitarbeiter), deshalb bezweifle ich nicht, dass ihnen schon klar ist, dass die heutige Erziehung anders sein muss.

    Ich finde richtig klasse, dass ihr innerhalb der Familie eine solche Diskussionskultur habt, die euch ermöglicht, eure (gewissermaßen) Differenzen offen auf den Tisch zu legen und zivilisiert zu besprechen. Läuft bei euch, würde ich sagen!

    Antworten
    • Eine Diskussion von vier dickköpfigen Menschen, gern emotional sekundiert, versus zwei schlafende Diskussionsinhalte ein Stockwerk drüber: ein wirklich tolles Szenario. Ja, wir sind ziemlich glücklich, dass das trotz aller Differenzen funktioniert.
      Uns eint einfach das simpelste Prinzip von Familien: Liebe.

      Danke für deinen Kommentar und bis hoffentlich im September! 🙂

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.