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Moin!

Die Wehenabstände meiner Frau werden seit Tagen kürzer. Aktuell sind sie so um die 5 Minuten, es ist Samstag, der 13. September 2014, und wir sind gerade mal wieder auf einen Spaziergang der Klassikerroute „Dahoam – Eisdiele – Spielplatz – Dahoam“.
Wir sind bei „40+3“, drei Tage über dem errechneten Entbindungstermin, ich habe meine erste Woche Urlaub hinter mir. Den habe ich bisher damit verbracht, Möbel aufzubauen, mit unserer bald Zweijährigen mehrmals am Tag für einige Stunden die Sonne draußen zu genießen und finale Aufräumarbeiten des Nestbautriebs abzuschließen.
Fleischbärchen, die bald große Schwester, ist – gleich dem Wetter – ein einziger Sonnenschein. Anne, die Frau mit dem Bauch, ist entspannt und ebenso wie ich voll der Vorfreude.
Am Abend beschließen wir, bereits um 9 ins Bett zu gehen. Bisher lief alles vergleichsweise langsam an, und so ich hoffe auf eine weitere Nacht mit Schlaf „wie immer“.

Bis um ein Uhr in der Früh ist dem auch so. Dann wache ich, sanft von Anne geweckt, auf, sie könne nicht mehr schlafen, weil die Wehen inzwischen sehr regelmäßig sind.

Nach kurzem Abwägen, ob wir der auf Abruf lauernden Freundin zwei Häuser weiter oder meinen 200km entfernt lebenden Eltern Bescheid geben, entscheiden wir uns für letzteres. Wir haben zwar keine Ahnung, wie lang es tatsächlich noch dauern könnte (Fleischbärchen ist ja eingeleitet worden), aber das ist auch egal – Oma und Opa sind für das Kind so lang da, wie es sie eben braucht.

Es klingelt kaum bei Oma, da hebt sie auch schon ab. Seit zwei Wochen schlafen Anne und ich besser als die nähere Familie und einige Freunde.
Während wir auf die Großeltern warten, essen wir in Ruhe einen Snack, Anne veratmet in Seelenruhe die Wehen und ich bin trotz der Aussicht auf die in absehbarer Zeit bevorstehende Geburt so tiefenentspannt, wie es eben geht. Weltfrieden in Emotionen gegossen, quasi.

Halb vier Uhr morgens treffen die aufgeregten Großeltern ein. Zuerst sind sie erstaunt über meine Ruhe (ich bin gerade dabei, mir eine Grapefruit aufzuschneiden), dann noch erstaunter über ihre Schwiegertochter, die lächelnd von der Couch grüßt.

Umso erstaunter sind sie, als ich ihnen empfehle, direkt ins Bett zu gehen. Fleischbärchen wird vermutlich keine Rücksicht auf fehlenden Schlaf nehmen.

Eine Grapefruit und ein Heublumendampfbad später rufe ich den von dem Kreißsaal ausgelobten „Babytaxi-Service“, die 19222, an. Vielleicht hätte auch jemand der Wochenend-Nachtschicht über diesen Service unterrichten sollen, jedenfalls war der gute Mann am anderen Ende der Leitung „nicht zuständig!“, weil unser Anruf um vier Uhr wohl in Hamburg rauskam. Letzteres fängt ja nun erst fünfzig Meter hinter unserem Haus an, weswegen er mich zur zentralen Leitstelle durchstellt.
Die Leitstelle ist aber nun die 112, der Herr am anderen Ende sagt allerdings von sich aus, dass die Schwangere ja nun irgendwie ins Krankenhaus müsste, führe kein Weg dran vorbei – er schicke einen Wagen.
Fertig, aufgelegt.

Ich bin unverändert ruhig. Ziel erreicht, normal wäre ich jetzt im Erregungsmodus. Ein bewusster Automatikmodus, endorphinlastig, trotzdem faktisch, ruhig und zielorientiert.

Als nächstes ruft Anne im Kreißsaal an, fängt während des Telefonats an zu lächeln und meint, sie kenne die Hebamme bereits vom Namen her: Die Nachsorgehebamme einer guten Freundin, Anna. Kurz drauf fährt der Rettungswagen vor.

Fun Fact: Die Jungs vom Rettungsdienst kannten wir bereits – das war schon ihr dritter Besuch bei uns (von drei Malen, die wir einen Krankenwagen brauchten), diesmal mit erfreulichem Anlass.

Ankunft in der Asklepios Klinik Hamburg-Harburg: kurz vor fünf. Anna, die Hebamme, ist tatsächlich ein Herz von Mensch und als sie bei der Aufnahmeuntersuchung eröffnet, der Muttermund sei bereits 8cm weit offen, bahnen sich sowohl bei Anne als auch bei mir die Emotionen ihren Weg in Form von Tränen.
Tränen des Glücks, weil besonders der Vergleich zur ersten Geburt – eingeleitet, schmerzhafte Eröffnung mit Wehencocktail und Prostaglandinen über mehr als einen Tag mit dem Ergebnis eines vier Zentimeter geöffneten Muttermunds – bis hierhin alles so entspannt und vollkommen komplikationslos verlief.

Damit das alles noch etwas runder läuft, ist auch sonst nix los, die Geburtswanne ist frei und damit auch der Weg zur von Anne erträumten hebammengeleiteten Wassergeburt nichts im Weg. Wie lang es tatsächlich dauert, weiß ich natürlich genauso wenig wie Anne. Fleischbärchens Geburt war getaktet vom Wehentropf, jetzt sollte alles natürlich verlaufen.
Die warme Wanne schraubt Annes Wasserverbrauch in die Höhe (Trink- wie Badewasser, letzteres, weil ein Handtuch notgedrungen den abhanden gekommenen Stöpsel ersetzen muss), ich sitze zufrieden mit einem Kaffee, einer Mate und einem nassen Arm (vom Provisoriumsstöpsel-Reindrücken) neben der Wanne und Anne atmet weiter die Wehen weg, als wenn es den Ortswechsel von der heimischen Couch in die Geburtswanne nicht gegeben hätte.

Die CTG-Nubsies werden von der Wachablösung halb sieben angebaut, nach einigem Suchen bereits ziemlich weit unten; Magda kümmert sich auch gleich um das Familienzimmer und meinen Kaffeenachschub, lediglich das Frühstück für die mittlerweile ziemlich hungrige Anne verzögert sich.

Nach dem Blick auf’s Bild des CTG der letzten halben Stunde schlagen die beiden Hebammen vor, die Fruchtblase zu öffnen, da der Puls des Kindes unter den Wehen von 130 auf 120 absinkt und auch sonst das Kind sehr ruhig ist.

Annes Hilfe suchender, stummer Blick in meine Richtung spricht Bände.

Wir haben das vor der Geburt besprochen: Was passiert, wenn etwas nicht so läuft, wie Anne sich das wünscht? Was genau wünscht sie sich eigentlich? Wie verhalte ich mich in so einer Situation?

Ich spüre Adrenalin, einen Stich im Herzen ob Annes Blick und reagiere prompt: Die Hebammen sollen mir genau erklären, was Basis ihrer Annahme ist, das Kind könne unterversorgt sein. Woran dies typischerweise festgemacht wird. Was ein derartiger CTG-Verlauf für eine solche Zeitspanne wie bei uns denn konkret bedeute. Was im Falle des Nichteingreifens passieren könne. Mit welcher Eintrittswahrscheinlichkeit. Innerhalb welcher Zeit jetzt eine Entscheidung getroffen werden müsse, um ernsthafte Konsequenzen für das Kind zu vermeiden.

Anne und mir ist vorab klar gewesen, dass bei eindeutiger medizinischer Indikation ein Eingriff notwendig werden könnte. Klar war uns allerdings auch, dass derartige Fragen eine Verzögerung des Eingriffs ermöglichen würden.

Und manchmal ist das alles, was es braucht.

Die Werte des Kindes auf dem CTG-Schreiber werden lebendiger. Annes Atmen wird intensiver. Zwei Wehen später platzt die Fruchtblase von selbst, so intensiv, dass Anne sich erschrickt und fast einen Anflug von Panik erleidet. Ich bin bei ihr, streiche ihr über den Kopf, schaffe es, sie wieder zu beruhigen. (Später erzählt sie mir, dass sie kurz dachte, sie würde explodieren, so stark sei der Druck gewesen, daher auch der Anflug von Panik.)

Schon in der nächsten Wehe ist der Kopf zu sehen. Haare, viele schwarze Haare, wie schon bei der bald großen Schwester vor knapp zwei Jahren. Anne fühlt danach, ich sehe es, wir strahlen uns beide an, die Hebammen sind überrascht aber zufrieden über den jetzt doch zügigen Fortschritt im Geburtsverlauf.

Eine Wehe später: Der Kopf ist da.

Noch eine Wehe später, sechs Minuten nach halb acht an diesem Sonntagmorgen: Das Kind ist da.

Direkt wandert das Kind auf und an Mamas Brust. Drinnen schlägt ein überwältigtes Mutterherz, einen halben Meter daneben ein ebenso bewegtes vom Vater.

Noch eine Minute später fällt den Hebammen beim Formularschreiben und uns dann auch auf, dass da ja noch eine Unklarheit war, und wir schauen fix nach: Ein kleiner Pullermann in Hüfthöhe komplettiert das kitschig-konservative Familienbild, das wir so wenig leben.

Quietschfidel, kerngesund, direkt nach der Brust suchend löst der kleine neue Erdenbürger eine solche Unmenge an positiven Hormonismen in mir aus, dass ich wieder die Schwelle des Wassers überschreite.

Dann fragt die Hebamme nach dem Namen des (Stunden gemeinsamer Ruhe später gemessenen) 3410g-55cm-36cmKU-Pakets: Adrian Michael soll er heißen.

Den ersten Vornamen bekommt er von uns. Den zweiten von seinem mit 19 Jahren an Krebs verstorbenen Onkel, dem er so ähnlich sieht. Und wieder Wasser.

Meine Begrüßung, die ich mir vorher zurechtgelegt hatte (Ein Klassiker aus dem Hause Sarkasmus: „Schnell ne Form, sonst wird’s n Schwein!“), ersäuft im Meer der tränenfeuchten Glücksgefühle und alles, was ich über die Lippen bringe, während ich bewegt seinen Kopf streichele ist

„Moin!“.

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Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

35 Kommentare

  1. Was für ein wunderschöner Bericht, Steffen! Ich gratuliere Euch von Herzen und wünsche Euch eine wunderschöne Zeit mit dem Kleinen und der großen Schwester. Nun kann der Urlaub richtig beginnen!

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  2. Einfach nur schön, diese Gefühle hier so niedergeschrieben zu sehen und gleich den Flashback zu erleben, zurück in die Zeit, aus der heraus ich so hundertprozentig nachempfinden kann, wie es Dir ging!
    Alles Gute, Kraft und Gesundheit dem kleinen Adrian Michael und Euch als Familie eine lebhafte Zeit! 😉

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  3. Simone Bretschneider

    16/09/2014 @ 7:46

    Unsere Glückwünsche aus Berlin . Wir wünschen Euch ,dass ihr alles mit Euren Kindern genießen könnt,was das Leben zu bieten hat. Genießt jede Minute als Familie und vor allem seid Euch bewusst, dass ihr im Moment noch mehr wisst und könnt als Eure Kinder. Eines Tages wird es umgedreht sein,und dass geht schneller als man denkt. Aber dann werdet Ihr stolz auf Eure Kinder sein können. So,nun auf ins Familienglück.
    Simone,Wolfi, das Jung vermählte Paar sowie Felix und Freundin und sicher auch von der Ganzen Hochzeitsgesellschaft in Berlin

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  4. Pingback: Es ist ein…Papa! | Teilzeitpazifismus im Lernmodus

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