
„Wenn eine Familie aus dem Hamburger Speckgürtel beschließt, eine Woche Urlaub in den Niederlanden zu machen, besteht eine konkrete Gefährdungslage:
- Es ist davon auszugehen, dass die Erwachsenen Reiseteilnehmer auf den Erwerb von in Deutschland verbotenen Mengen bewusstseinserweiternder Naturprodukte abstellen
- Ferner dient die „Erholungsreise“ zur womöglichen Verschleierung einer Transfermission im innereuropäischen Kinderhandel
- Bei den dann 9 und 31 Minate alten Kindern ist davon auszugehen, dass es sich um höchstwahrscheinlich potenziell straffällige Subjekte aus der Minderjährigenszene handelt.“
Bisschen wie ein schlechter Film? Nein: genauso, wie ich mich fühle. Was ist passiert?
Urlaubsplanung mit Last Minute Blutdruck
Vorgenommen haben wir uns lange, dass wir zu viert einen Familienurlaub machen wollen. Nachdem ich Anfang des Jahres bereits meine Urlaubsplanung einreichen musste, legten wir uns auf Ende Juni fest, ein Zeitraum, in dem noch in kaum einem Bundesland Schulferien sind und damit die Preise für potenzielle Ziele eher günstiger.
Nach einer ereignisreichen Zeit im Mai mit einem strammen Programm von Freunden und Familie im Besucherwechsel sahen wir beim Umlegen des Kalenderblatts auf den noch immer nicht geplanten Juniurlaub. Was tun? Kinderfreundlich, keine überbordenden Kosten, ähnlich gute Infrastruktur wie zuhause. Mallorca zu unbekannt, Mecklenburg zu teuer(!).
Dann findet Anne etwas, das vielversprechend aussieht: Het Land van Bartje. Keine 300km entfernt, große Unterkünfte kleinkindgerecht zu tollen Last Minute Preisen, Indoor-Spielplatz, Schwimmbad, Ponyreiten, im Wald gelegen, alles in Fußreichweite, was das Leben braucht. (Und WLAN.) Wir kommen als autolose Familie sogar entspannt mit der Bahn hin, also kein Mietwagen notwendig. Allet schick.
Dann das „Denkste!“: Bei der Diskussion über den Irrsinn mit dem G7-Treffen in Elmau und dem Aussetzen des Schengen-Abkommens für freies Reisen recherchiere ich, was es denn für Papiere in dem Fall bräuchte. Und stoße auf den Satz „Jedes Kind benötigt ein eigenes Ausweisdokument„. Doch nicht nur das.
Das ist der Moment, in dem ich explodiere.
Biometrisches Passbild fürn Kinderreisepass wegen ner Woche Niederlanden-Urlaub. Für 8 Monate alte Kinder. Ihr habt doch den Arsch offen.
— Steffen (@papapelz) June 4, 2015
Wozu das denn? Schmuggeln wir neuerdings Kinder, die sich an uns schmiegend mal eben schnell gelernt haben, uns Mama und Papa zu nennen? Sind Kinder, die wie Kleiner Ajan nicht mal laufen können, potenziell kriminelle Subjekte, die es identifizierbar zu halten gilt?
.@tburgholte Frag mich, wozu das gut sein soll. Gehen wir nur vom Schlechten im Menschen aus, dass jede/r potentielle/r BabyentführerIn ist?
— Steffen (@papapelz) June 4, 2015
Und sollte die Große tatsächlich mal stiften gehen: Glaubt irgendwer ernsthaft, dass wir ner Zweijährigen ihren Reisepass ordnungsgemäß in die Kleidung tackern?
Der ganze Spaß ist nicht nur notwendig, wenn irgendwelchen Staatshäuptern die Muffe geht und sie meinen, Schengen aussetzen zu müssen, nein. Das gilt IMMER.
Paranoia Deluxe und Orwell durch die Hintertür
Und damit wir uns endlich sicher, wohlig und warm umsorgt fühlen dürfen, empfiehlt uns das Auswärtige Amt gleich noch, uns in eine Krisenvorsorgeliste einzutragen, damit sie auch wissen, in welchem Land wir uns mit unseren kleinen Terroristen grad in einem Camp rumtreiben.
Endlich, endlich können wir systematisch jede/n erfassen, der auf die dumme Idee kommt, aus seinem rabattkarten-kontrollierten Funkzellen-Universum ausbricht, um schwerer vorhersehbare -und natürlich potenziell böse – Dinge zu machen! Fast, als würde man in der Matrix den Alkoven wechseln wollen.
Sinnarm, aber hey, neue Verwaltungsakte!
Natürlich käme keiner, der Kinder außer Landes bringen wollte auf böse Ideen.
.@tburgholte Das schöne ist: Du gehst mit ner GebUrkunde und Kind zum Amt, aber ob das Kind das von der Urkunde ist, interessiert niemanden.
— Steffen (@papapelz) June 4, 2015
Und sowohl das Bild, biometrisch bitte, als auch die anderen Angaben sind natürlich in Ausweispapier gemeißelte Unveränderlichkeiten:
@TZPazifist Und der Pass mit DIESEM BILD ist dann für 6 Jahre gültig 😀 (Wohnen in Grenznähe) 😀
— Das königliche Wir (@sys_adm_ama) June 4, 2015
@TZPazifist Oh! nicht die sinnvollste aller Angaben vergessen: Die Größe! Muhahahaha, was lache ich jedes Mal. 😀
— Julia Schönborn (@junaimnetz) June 4, 2015
Da meine Elternbubbel auf Twitter früher oder später schon damit zu tun hatte: Was haltet ihr davon?
05/06/2015 @ 13:09
Es ist einfach nur schmerzhaft, diese Bürokratie. Gestern festgestellt, dass wir in 7 Tagen einen Reisepass brauchen (unser Fehler), war es mehr als Glück, einen Termin für den Kinderreisepass zu bekommen (via Browserrefresh der Bürgeramt-Seite von Berlin!). Vorher hieß es, unansehnliche biometrische Fotos unseres Jungen zu machen. Davon wird eins eingescannt und wir dürfen die 4, die in kein Fotoalbum ob ihrer Hässlichkeit dürfen, wieder mit nach Hause nehmen.
Aber eigentlich ist es eine gute Sache: so kann auf diesem Weg kein Kind entführt werden. Ich musste unterschreiben, dass ich es erlaube, das Kind muss anwesend sein. Ich habe noch Hoffnung, dass es für das Gute ist…
Liebe Grüße
Sarah
05/06/2015 @ 21:30
Ach ja, Reisepässe für Babys und Kleinkinder ist so eine Sache für sich. Wenn ich den Pass meiner bei Beantragung acht Wochen alten Tochter heute, 3,5 Jahre später, anschaue hab selbst ich als Mutter Mühe, sie anhand des Fotos zu identifizieren. Wie soll das dann den Mitarbeitern von Fluggesellschaften oder Grenzübergängen gelingen? In der heutigen Ausgestaltung hat der Kinderreisepass meiner Meinung nach sein Ziel verfehlt.
Dennoch regt mich das Thema nicht so sehr auf wie dich 😉 Vielleicht, weil die Stadtverwaltung vor Ort die Biometrietauglichkeit des Fotos nicht so eng gesehen hat oder weil durch die frühe Beantragung noch kein Urlaub wirklich in Gefahr war. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass wir das Böse auf der Welt nicht verhindern werden, in dem wir mehr Regeln und Kontrollen schaffen!
Ich wünsche euch einen schönen Familienurlaub und eine tolle Zeit in Holland!
05/06/2015 @ 23:32
Irgendwann wird sich dieses Land kaputt verwaltet haben.
Kein Mensch kann ein Baby anhand eines Fotos zuordnen.
Ich kann meine in ihren Pässen nur noch anhand des Geburtsdatums identifizieren.
Wenn jemand ein Kind klauen möchte, nimmt er irgendeinen Pass und gut ist es.
06/06/2015 @ 10:20
Am tollsten finde ich bei den Kinderpässen die Angabe zur Augenfarbe bei einem Säugling (Kopf-> Wand)
Entgegen des oben eingebetten Tweets muss der Pass bzw. das Foto erneurt werden, wenn das Kind dem Foto nicht mehr ähnlich sieht. Oder -äh- umgekehrt.
Habe ich als treusorgende Mutter gemacht und sass mit altem Pass der grossen Tochter und neuem Bild pünktlich zum vereinbarten Termin beim Amt.
„Wo issn dat Kind? Muss doch gucken obs wirklich dat gleeche is‘!“
Also durfte ich ein paar Tage später das Kind aus der KiTa lassen und nochmal zum Amt.
Deutsche Bürokratie!!!
08/06/2015 @ 20:01
Nicht wahr? Was für ein Irrsinn. Schön beschrieben.
Als die Große noch nicht zwei war, wollten wir zu meinen Eltern fliegen. Da es kein innerdeutscher Flug war (Ausgangspunkt: Flughafen Basel) brauchten wir einen Kinderausweis. Damals kam noch niemand auf die Idee, ein biometrisches Passbild zu wollen. Dennoch brauchten wir drei Versuche bei einem Fotografen, um ein einigermaßen brauchbares Bild zu generieren. Das Witzigste an der Geschichte: Vor lauter Stress mit dem Kinderausweis übersah ich, dass mein Perso zwei Wochen abgelaufen war. Am Flughafen Basel ließ man mich, eine deutsche Staatsbürgerin, dann nicht nach Hamburg einreisen. Allein das ist eigentlich schon mal eine Geschichte wert. Das Kind klammerte sich derweil an mich, „Mama, Mama“ brüllend. Joar, die brauchte echt einen Kinderausweis … *kopfschüttel*
Zwei Jahre später: Es müssen biometrische Pässe her. Denn wir wollen meine Eltern im paranoiden Amerika besuchen. Da reicht dann auch kein Kinderausweis, es muss ein Reisepass sein. Ein Fest für alle Beteiligten: Der Gang zum Fotografen. Die Regelung mit den biometrischen Bildern war ganz neu, und selbst das Fotostudio stöhnte laut über diese absurde Idee unserer Bürokratie. Größenangabe, Augenfarbe bei der Kleinen (wir endeten mit „bläulich-grau-wird-braun“, durften aber nur „braun“ angeben. Das Ganze sechs Jahre gültig, AUßer in Ländern wie Amerika – bei denen ist ein Reisepass nur solange gültig, wie man das Kind auch dem Dokument zuordnen kann. Schön.
Diesen Frühsommer, sechs Jahre später … Du ahnst es? Wir wollen in den Urlaub nach Spanien, die Pässe sind alle gerade abgelaufen. Wir stellen das durch einen reinen Zufall fest. Also googeln: Ja, Kinderausweise lassen sich verlängern. Mit neuem, biometrischen Passbild! Ab zum Bahnhof, Automatenbilder generieren. Am nächsten Tag hetze ich von der Arbeit ins Bürgerbüro, 5 Tage vor der geplanten Abfahrt. Ich erfahre, dass Kinderausweise verlängert werden können (mit neuem Bild), REISEPÄSSE aber nicht. Dafür könnten wir schon mal einen Personalausweis für die Große … allerdings dauere der zwei Wochen …
ich möchte schreien. Und ziehe am Ende von dannen mit zwei wunderschönen, ad hoc ausgestellten neuen Kinderausweisen, gültig noch bis zum vollendeten 12. Lebensjahr oder so. Hab nicht mehr zugehört. Die Größen der Mädels waren dieses Mal glatt erlogen – ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie groß sie sind, und halte die Frage immer noch für die Sinnloseste aller Fragen.
Was bleibt? Ärger im regelmäßigen Rhythmus, weil eine Gruppe von Menschen findet, dieses Vorgehen sei sicher. Die Lücken im System hast Du mit dem Blogpost und meinen Vorkommentatorinnen gezeigt: Der Kinderausweis sagt letztlich nur, dass man es geschafft hat, mit einer Geburtsurkunde und einem Kind ins Bürgerbüro zu gehen, um sich einen Pass ausstellen zu lassen. Eigentlich muss das Kind nicht einmal anwesend sein, sofern es jünger ist als 8. Für jemanden, der eine Kindesentführung plant, scheint mir das eine nur sehr geringe Hürde zu sein. Es lebe Deutschland. ABER, siehe Amerika: Es geht auch noch schlimmer.