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Die unerträgliche Langsamkeit des Seins

Es ist Mittwoch, um 13 Uhr startet die jährliche Sitzung der Berufsschule mit ihren Kooperationspartnern, den Ausbildungsbetrieben.

Es geht um die Ausbildung von IT-Azubis. Es geht um Herausforderungen, Verbesserungsmöglichkeiten, die Situation an der Schule.

Vor zwei Jahren war ich zum ersten Mal bei so einem Treffen dabei. Kurz zuvor übernahm ich eher zufällig die inhaltliche Koordination der IT-Azubis in meiner Firma. Ich dachte, ich kümmere mich darum, den Azubis je nach Gusto und Fähigkeiten sowie den aktuell anwesenden Ausbildern ihre nächsten Einsätze zuzuschieben. Und dass das alles wäre.

Es dauerte nicht lange, und ich begriff, dass einiges verbesserungswürdig war. Die Koordination der Betriebseinsätze genauso wie die Vielfalt der vorhandenen Einsatzplätze. Die inhaltliche Strukturierung innerhalb der 3 Jahre Ausbildungszeit. Den kontinuierlichen Wandel der Organisation, der Beschäftigungsfelder und der damit verbundenen Personen und deren Veränderungen so zu begleiten, dass die Azubis trotzdem noch lernen können, was sie lernen wollen und sollen.

Als ich die Azubis nach und nach kennen lernte, erfuhr ich auch erste Bonmots aus ihrer Schulzeit. Die ist aufgeteilt in so genannte Kurzblöcke, in denen zwischen zwei und acht Wochen Wissensvermittlung angedacht sind. So weit die Theorie. Die ersten Seufzer und Abwiegelungen bezüglich der Schule tat ich als Theatralik ab. Bei den zweiten stutzte ich. Bei den folgenden bat ich, mir die Kritikpunkte in Schriftform mitzugeben, vertraulicher Umgang inklusive.

Und dann also eine Jahrestagung „Lernortkooperation“, LOK, in der Berufsschule. Die Einladung kam via papierner Post. Lange ausgedruckte Listen mit Teilnehmern. Kopierte Gesetzestexte. Eine Präsentation und Informationsvermittlung, die mich an meinen Frontalunterricht in den Achtzigern erinnerte.

Irgendwann konnte ich mit meinen Fragen ob der häufigen Ausfälle, der nicht nachvollziehbaren Anordnung von Lehrinhalten und der Deckungsungleichheit von vermitteltem und in Prüfungen abgefragtem Inhalt nicht mehr hinter dem Berg halten.

Antworten, die sich wie Teflon, Gelee oder politischer Singsang anhörten. Ich hatte Puls. Der Stimmung und dem Murmeln im Raum nach war ich nicht der Einzige, der solche Infos von seinen Azubis erhalten hatte. Als es schließlich an die angesetzte Neuwahl des Vorstands der LOK ging, tönte plötzlich mein Name als Kandidaturvorschlag durch den Saal.

Was tun? Ich nahm an. Wurde gewählt. Übernahm die Stellvertretung, im letzten Jahr de facto den Vorsitz, weil mein Vorsitzender beruflich außer Reichweite beordert wurde.

Die IT-Ausbildung ist anno 1996 als eine Gruppe neu gestalteter Berufsbilder an den Start gegangen. Ungleich zu handwerklichen Berufen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, sind die Inhalte einer IT-Ausbildung stark veränderlich. Was ich damals im Studium lernte – 1998 bis 2001 – hat wenig bis nichts mehr mit der Technik, mit den Systemen, mit der IT-Landschaft zu tun, die heute vorherrscht.
Einzig das Berufsbild der IT-Berufe wurde inhaltlich nicht aktualisiert. Das ist eine große Baustelle. Einen aktualisierten Vorschlag zu erstellen, das begleitet die Schule gern, leiten will sie das nicht. Die Kammer sieht sich als Landesvertretung, Berufsbilder sind jedoch bundesweit einheitlich. Zur Verabschiedung einer Aktualisierung bedarf es aber wieder der Zustimmung aller Länder, da sie über die Bildung im föderalistischen System jeweils selbst entscheiden.

Die Kritikpunkte an der Qualität der beruflichen Ausbildung durch meine Azubis sind nicht weniger geworden. Die Qualität des Unterrichts steht und fällt mit dem Personal, und hier gibt es Lehrkörper, die seit Jahrzehnten ihr gewohntes Programm herunterleiern, teils mit Methoden, die auch ein Jahrhundert vorher bereits bekannt waren. Daran wird sich so schnell nichts ändern – die Attraktivität der Positionen lässt zu wünschen übrig, entsprechend gestaltet sich die Motivation Einzelner aus dem Kollegium der Schule.
Der Nachwuchs für die Lehrpositionen werden mit so engen Scheuklappen gesucht, dass mir schwindelt. Parallel dazu werden die Studiengänge, die Nachwuchs bringen können, wegen diverser Gründe womöglich eingestampft.

Der neue Direktor führt eine Aktualisierung der Lehrmethodik ein. Mehr Selbständigkeit, mehr Eigenverantwortung, weniger angeleitetes als begleitetes Lernen, mehr Freiheitsgrade, mehr Abstufung in der Komplexität der Aufgaben.
Allein, die Schulabgänger werden gefühlt immer unselbständiger. Haushalt aufrechterhalten, Tagesplanung, Verantwortlichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Engagement… oder auch nur ne Steuererklärung, Selbstversorgung, Kochen – es hapert teils schon an den Grundlagen. Das ist keine optimale Basis dafür, mehr von alledem von den Schulabgängern zu erwarten.
Parallel dazu steht und fällt ein neues Lehrkonzept mit dem Kollegium. Und wie es darum bestellt ist, hatte ich ja schon angedeutet.

Dass aber eine IT-Schule, die unseren Azubis beibringen soll, wie professionelle IT funktioniert, eine System- und Netzwerkverfügbarkeit hat, die schlicht nicht akzeptabel ist, das ärgert mich persönlich am meisten. Unsere Azubis sollen lernen, wie professionelles Netzwerkmanagement geht und werden es auch auf absehbare Zeit nicht in der Schule erleben können. Und warum? Weil für die Verwaltung des Schulnetzwerkes von 800 Rechnern 2 Lehrkräfte in einem Teil ihrer Lehrstunden das Netzwerkmanagement meistern sollen.

Diese Zustände zu ändern – Berufsbild, schulische Ausgangslage, die Qualität des Unterrichts und seiner Organisation – braucht elendig viel Zeit. Eine für mich schier unerträgliche Langsamkeit des Seins, wenn fast jede/r, der oder die an einer Änderung mitwirken könnte, sich darauf zurückzieht, selbst ja nichts allein machen zu können.

Wir haben für unsere Azubis eine hausinterne Lösung gefunden, die Defizite zu adressieren, wie es so schön heißt. Das ist aber nur Symptombekämpfung. Azubis anderer Firmen hilft das nicht. Hier gehen Jahrgänge dringend benötigten IT-Nachwuchses sehend in eine – nett formuliert – suboptimale Ausbildung. Und das in einer Stadt, die, wie Olaf Scholz sich rühmt, IT-Stadt sei.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

2 Kommentare

  1. Habe 2010 meine Ausbildung als IT-Syskfm mit Erfolg abgeschlossen. ich hatte das Glück aus 3 Berufsschulen aussuchen zu können und nahm die jüngste der 3.

    A: 6 Wochen am Stück Unterricht, so konnte man sich vom Kopf her voll auf die Schule konzentrieren und es war auch eine nette Auszeit vom Geschäftsalltag, da ich nach der Schule nicht in den Betrieb musste (der Entfernung sei es gedankt).

    B: Sie war recht modern ausgestattet, die Lehrer waren motiviert, es gab eine enge Verzahnung mit der Wirtschaft, was den Unterricht recht realitätsnah werden lies. Na ja abgesehn von den vorgeschriebenen 80h Programmierkram für uns IT-Systemkaufleute, mit den 80h/Jahr hatte es den gleichen Stellenwert wie die Wirtschaftsfächer… Bei den Anwendungsentwicklern kann ich das ja noch wirklich nachvollziehen.

    Wer allerdings erst recht seine Schuldigkeit getan hat, ist die IHK. Ein langsamer, alter und vor allem zahnloser Tiger. Als Ansprechpartner für die Azubis ist die kein Stück. Auf gar keinen Fall mit den Firmen verscherzen. Nachher bilden die nicht mehr aus oder sponsern nicht mehr die Infoveranstaltungen, daher dürfen sie mit den Azubis alles mögliche veranstalten.

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    • Hallo Arno,

      Danke für deine Antwort! Die Erfahrung, dass es bei den Systemkaufleuten schulisch besser läuft als bei den Fachinformatikern, kann ich auch aus unseren Erfahrungen bestätigen.

      Ob und wenn ja welche Bestandteile der Ausbildung von IT-Kaufleuten aktualisierungswürdig sind und ob das politisch durchsetzbar ist, wäre eine zusätzliche Frage.

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