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Woche Null – Ende der Elternzeit

Gerade mal zwei Monate Elternzeit hab ich genommen. Die Ungleichheit unserer Einkommensverteilung lässt nur weniges anderes zu, und schon gleich gar nicht, wenn nach dem damaligen „wenn’s denn jetzt halt ein zweites kommt, dann isses so“ und dem positiven Test nur wenige Wochen vergehen. Ansparen für ne längere Papazeit: Fehlanzeige.

Aber ganz ehrlich: Will ich das überhaupt?Den ersten Monat meiner Elternzeit nahm ich bereits Anfang des Jahres, als der Bub kaum drei Monate alt war. Hausarbeit, Wickeln rund um die Uhr, Kümmern um K1, das neben der KiTa noch die Autonomiephase freigeschaltet hat. Und viiieeel Kuscheln, Schnuppern, Nähe.

Planung ist ein Arschloch

Den zweiten Monat nahm ich jetzt ab Mitte August. Geplant war ein schöner, entspannter Urlaub zu viert. Dann wird klar: Meine Altvorderen verkaufen in Rekordzeit das Haus und müssen dürfen in noch rekördlicherer Zeit ausziehen. Weder Urlaub der Großen bei Oma und Opa aufm Gehöft, noch Familienurlaub hintendran, sondern Umzugshilfe.

Damit es nicht allzu langweilig wird und ich Marathon oder anderweitige sportliche Ambitionen entwickle, brech ich mir nach drei Tagen Elternzeit einen Zeh.

Dafür gab’s ein paar andere Highlights: Der kleine Mann lernt in meinem Beisein das Laufen:

Und so nebenher geht nicht nur der Holden, sondern auch mir eine Kette an Lichtern auf, die uns hoffentlich helfen, mehr und besser auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder einzugehen.

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Eine minimalistisch begangene Geburtstagsfeier mit einem Familienausflug nach Hagenbecks, die schöner als mit nem Spontanbesuch von Nachbars nicht hätte enden können.

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Ein ziemlich entspanntes Sommerfest im Nachbarskreis, das allen Beteiligten positiv in Erinnerung blieb.

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Ein Dorffest in Hamburg (ja, das geht) , auf dem alles so authentisch und cool war, dass fast gar nicht auffiel, dass die Holde zwecks Junggesellinnenabschied gar nicht dabei war.

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Uromas 94.ster Geburtstag, an dem wir sie nicht nur besuchten, sondern beim Ausflug mitm Rolli schon darüber witzelten, wie wir die große Party in sechs Jahren schmeißen.

Alles in allem hielt die Elternzeit also jede Menge Zeugs bereit, dass erlebenswert war. Auch wenn nix davon so geplant war.

Zurück in das Berufsleben

Der Neustart begann so, wie eine vernünftige Priorisierung es verlangt: Mit einem Urlaubstag. Das hatte den trivialen Grund, dass der zwölfte Lebensmonat vom Lütten – mein Elternzeitmonat – mit dem Tag vorm Geburtstag endet. Den findet ihr drüben bei Anne.

Mein Tag eins zurück im Erwerbsleben war wie ein Tag Null – die Abteilung traf sich ganztägig außerhalb des Betriebs, um sich gegenseitig wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen, wer an was gerade wie arbeitet. Bei über fünfzig KollegInnen ist das ab und zu auch mal ganz sinnvoll. Und damit es ein runder Tag wird: inklusive Abendessen und -auswertung. Also alles, aber kein ’normaler‘ Arbeitstag.

Beim Gute-Nacht-Telefonat kriecht mir schon die Mulmigkeit durch den Hörer: Die Kids spüren die  Unsicherheit ob der väterlichen Abwesenheit am Abend und spiegeln weltmeisterlich, die notwendige Luft dazu bringt das Schläfchen am Mittag bei K1.

Und was passiert zuhause? Die schwiegerlichen sind zum ersten Geburtstag angereist und noch da, um ein paar Tage mit der Familie und den Kindenr zu verbringen. Und die Kids geben ihr bestes, um den ersten Abend ohne Papa zum mütterlichen Albtraum zu wandeln. Kurz nach zehn Uhr schlafen schließlich beide endlich, just zu dem Zeitpunkt, an dem ich zuhause eintrudele.

Tag zwei und drei lese ich den ganzen Tag nur Mails und merke, wie sehr ich zum Papa mutiert bin: Zwischendurch mal eben „geil, die Kids toddeln grad gemeinsam rum, mal eben abschalten und Sinne auf Halbmast!“ geht nicht, Kopf auf den Tisch und die KollegInnen mit kurzen Schnarchkonzerten zu beglücken ist auch eher so medium geil. Am sinnvollsten wär’s aber, weil ich danach dreimal so effektiv arbeiten könnte. Aber: was sollen die nur von mir denken!?

Scheiß Normen im Alltag.

Am vierten Tag schließlich, der Wecker geht um 5 Uhr morgens, zwanzig Minuten später sitze ich gestriegelt und wie im Automatikmodus in der Bahn zur Arbeit, stehen erste Gespräche auf der Agenda. Das rechte Auge legt Drogenkonsum nahe, ich kann gar nicht genug Kaffee inhalieren, der Tenor unterschiedlichster Seiten lautet „Es wartet jeeede Menge Arbeit auf dich!“.

Elternzeit vs. Berufsleben

Yeah. Fragt mich nochmal, ob ich lieber Elternzeit oder Berufsleben haben möchte. Fakt ist doch mal folgendes:

  • In der Elternzeit gibt’s kein Feierabend, abgesehen von der Zeit zwischen dem finalen Einschlafen der Brut und dem eigenen Wegnicken.
  • Die Kids fragen nicht nach meinen Bedürnissen, ich hab da zu sein, egal, wie kaputt der Zeh oder der Kreislauf grad sind.
  • Haushalt, Kind und sonstige gesellschaftliche Verpflechtungen reichen auch ohne geplante Urlaube vollauf, um die Zeit lückenlos zu vernaschen.
  • Wartungstasks wie „Lass uns mal den Hauswirtschaftsraum aufräumen“ fallen als erstes in wortloser Einigkeit unter den Tisch.
  • Du isst, wenn die Kids dir grad Zeit dazu lassen. Und was dann eben noch da ist.

Und im Gegenzug dazu:

  • Kaffeetrinken im Büro geht ungestört.
  • Frühstück und Mittag mit Gesprächen und ohne Kindergeschrei. Ruhiges Essen. Was für ein Genuss!
  • Das Gehalt ist dann auch noch mal ein paar Cent mehr als das, was als Elterngeld rüberkommt.
  • Wenn du mal Ruhe brauchst, dann schaltest du alles ab und setzt dich einfach mal kurz draußen auf eine Bank.
  • KollegInnen schreien dich deutlich seltener hysterisch an als autonomierender Nachwuchs.
  • Die Arbeit wartet auch morgen noch auf dich, selbst wenn ‚morgen‘ einen Monat später ist.

Ganz klar: Ich wurde mich jederzeit sofort wieder für die favorisierte Alternative entscheiden: Elternzeit.

Verantwortung

Und das hat einen einfachen Grund: Wenn du wissen willst, was es heißt, echte Verantwortung zu übernehmen, dann begleite Kinder in ihrer Entwicklung. (Ja, nicht ‚erziehen‘. Dazu anderwann mehr.) Sei für andere Menschen da, bedingungslos, lass dich auf sie ein.

Einem Menschen mit Krawatte und Sendungsbewusstsein schenke ich ebenso viel Aufmerksamkeit und Achtung wie er mir. Meinen Respekt und Hochachtung erntet, wer zuhört und mitfühlt. Das lernst du nicht, wenn du dich in der Wirtschaft hochbückst. Und auch nicht, wenn du mittels schwarzer Pädagogik meinst, zuhause alles im Griff zu haben.

Ich vermisse die Möglichkeit, für die Kids, ja auch für die Holde in dem Maße da zu sein, wie es die Entwicklung der Familie gerade erfordert. Denn ich hab das Gefühl, dass ich in dem Monat mehr gelernt und verinnerlicht hab, als in den bewegten Jahren, die dem vorausgingen. Die Elternzeit hat etwas in mir verändert. So grundlegend, dass ich noch nicht weiß, wohin mich das tragen wird. Eines weiß ich aber bereits, und das ist ein prima Kompass für die Zukunft:

„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

45 Kommentare

  1. Sehr gut geschrieben. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Du bist schon groß und trotzdem noch im „Wachstum“.

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