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Landesverrat: Rohrkrepierer, Einschüchterungsversuch oder Testlauf?

Der Donnerstag fängt geruhsam an, ich verschlafe zum zweiten Mal in dieser Woche, ohne dass ich vom Arbeitgeber dafür ausgepeitscht würde. Alles schick in unserer zivilen, demokratischen Gesellschaft.

Fast alles.

Bundesgeneralanwalt Range ermittelt: Landesverrat durch Journalisten?

Es dauert nicht lang, bis #landesverrat trendet. Erst halte ich es für einen blöden Scherz, wäge ab, ob ich meinen Morgenrant am Abend weiterführe, weil er mich immer noch umtreibt:

Allein, der Hinterkopf will mir keine Ruhe lassen. Die Braunen auf der Straße, ihr Ursprung und ihre direkten und indirekten Förderer sind einen eigenen Eintrag wert. Doch hier ist auch etwas Grundsätzliches im Argen. Und dieses Mal kommt es scheinbar von oben.

Was ist eigentlich Landesverrat?

Zur Einordnung dieses offensichtlichen Aufregerwortes besuche ich erst mal ganz schnöde die Wikipedia. Landesverrat ist also, die „…Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder…die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland [zu gefährden]“.

Aha. Mir ist erst mal nicht klar, warum das Offenlegen von Überwachungsplänen „sozialer Netzwerke wie Facebook“ und eine Organisationsstruktur – dazu mit einer blumigen Umschreibung, man bräuchte „aktuelle Technologien und flächendeckende Internetarbeitsplätze“ – ein die Bundesrepublik in ihrer Existenz ankratzender Verrat von Staatsgeheimnissen sein soll. Verfassungsrechtlich bedenkliche Überwachung journalistisch offenzulegen soll verfassungsfeindlich sein? Hä?

Wer will hier eigentlich was bezwecken?

Die Medien reagieren wie Merkel beim NSA-Handyskandal: Kaum betrifft es die eigene Kaste, werden sie hyperaktiv. Kein Medienportal, dass sich nicht in Empörung ergießt. Jeder hat eine ander Theorie: Der Stern meint, die Neuland-Abstinenzler Runge und Maaßen hätten vermutlich keine Ahnung gehabt, welche Welle sie da lostreten; die ZEIT sieht’s genau andersrum und meint, sie seien ja nicht doof – alles nur zur Abschreckung von potenziellen deutschen Möchtegern-Edwards. Und der Deutschlandfunk versucht sich in partieller Dummstellung.

Mutmaßungen, Intentionen, Deutungen. Inzwischen rudert der Generalbundesanwalt (der die Ermittlungen zum NSA-Skandal einstellte bzw. die zum Merkel-Handy ruhen lässt) als oberster Chefankläger zurück, in Windeseile werden Dementis aus dem Innen- und Justizministerium gesammelt, die Chefs hätten natürlich von nichts gewusst. Und kein Verantwortlicher hält das einen Tag später noch für eine gute Idee.

Die Suche nach dem ‚Schuldigen‘

Der natürliche Lauf der Dinge wird folgen: Die Presse versucht, namentliche „Schuldige“ für die Einleitung der Ermittlungen aufzubringen. Spielen wir das mal durch: Wer hat was davon, wenn so eine Anklage publik wird? Niemand, das Ding ist realistischerweise eine Totgeburt, auch wenn einige Juristen nicht nur die Fortführung der Ermittlungen, sondern auch eine Anklage kommen sehen. Also?

Der Anklage erhebende – Generalbundesanwalt Range, selbst mit dem FDP-Parteibuch ausgestattet – untersteht dem Justizministerium. Der Verantwortliche ist Heiko Maas. Genau, der mit der 180-Grad-Wende in der Vorratsdatenspeicherung neulich.

Wenn man da noch ein paar Mal draufhaut – schließlich ist er ja eh schon angezählt, vielleicht tritt er ja dann zurück? Schließlich ist so ein nüchterner, unaufgeregter Politiker, der augenscheinlich kein Zwangsmachtstreben an den Tag legt, ja schon irgendwie unpassend für ein machtorientiertes Handeln rund um den Berliner Reichstag, hm?

Eine sich selbst zerlegende SPD, befeuert von einer Klage durch einen mit der in dieser Angelegenheit verdächtig leise agierenden CDU in alter Verbundenheit stehenden FDP-Juristeneinheit: Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Was bleibt

Es bleibt ein schaler Geschmack. Der eines mäßig misslungenen Einschüchterungsversuchs seitens des Verfassungsschutzchefs, deutschen Whistleblowern mit der Knast-Keule zu drohen. Der nicht minder schale eines Versuchs, den meiner Einschätzung nach sehr wohl zu erwartenden Protest der Medien für eine Diffamierungskampagne des ‚Verantwortlichen‘ zu nutzen.

Und noch etwas Drittes: Der Verfassungsschutz zählt auf die Wirksamkeit des Begriffs „Landesverrat“. Dazu bedarf es einer – in letzter Zeit mehr und mehr deutlicher wahrgenommenen – Identifikation mit dem Land, der Bundesrepublik. Der Begriff wirkt nur dann, wenn sich darüber jemand empören kann. Und spätestens hier stoßen wir auf die „besorgten Bürger“, „Asylkritiker“ und andere nationalistisch angehauchte Gruppen, die mehr oder weniger deutlich gegen „Ausländer“ Stimmung machen. Mehr dazu im nächsten Post.

Kurz: Es riecht danach, als ob der nationale Mob erst getestet, dann langsam weiter erregt und schließlich instrumentalisiert werden soll. Im besten Falle für die konservativen Strategen, um die Macht in Berlin langfristig zu sichern und als alternativlose „Volkspartei“ aufzutreten. Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe…

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

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