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Respekt ist nur der Anfang

Nachdem Mina heute über den nach wie vor fehlenden Respekt zwischen Menschen schrieb, hat mich der Gedanke und die Konsequenzen daraus nicht mehr in Ruhe gelassen.

Respekt ist die Basis eines gleichwertigen Umgangs miteinander. Ein Kommentar hinterfragt, welche „Art“ Respekt denn gemeint sei. Und unterscheidet zwischen Menschenwürde und ‚durch Leistung erworbenen Respekt‘.
Diese Unterscheidung ist nicht nur unnötig, sondern sogar irreführend. Es ist schlicht irrelevant, ob wir einem Werk, einer Tat, einem Wesen oder einer Haltung mit Respekt begegnen. Es ist die Wertschätzung, die im Moment des Respekterweisens maßgeblich ist. Das Begegnen mit der Person, der Haltung, dem Werk, dem Wesen auf Augenhöhe.

Und hier setzt meiner Meinung nach der Knackpunkt der #Aufschrei-Debatte an. Machtausübung in ihrer klassischen Form ist die Dominanz des Gegenüber, ganz gleich, ob Person, Werk, Haltung oder Wesen. Und die Dominanz manifestiert sich in verschiedenen Weisen: Repression gegenüber Personen, Abschätzigkeit gegenüber Werken, Herablassen gegenüber Haltungen, Misshandlungen von Wesen.

Die klassische Dominanz ist in Deutschland die überwiegende Form der Machtausübung. Ob im Job in der Firmenhierachie, in der Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, in den mannigfaltigen Beispielen aus den #Aufschreien.

Aber die Zeit ist reif für eine neue Form der Machtausübung. Man kann sie riechen, sie kommt an allen Ecken und Enden hervor. Und zwar die der situativen Dominanz. Erste Marken definieren sich nicht mehr nur über Werbung, sondern über die Akzeptanz durch die Käufer. Produkte haben zunehmend Erfolg in Relation zu den über sie verfügbaren positiven Kundenbewertungen und -rezensionen. Egal, ob die Hersteller das toll finden oder nicht.
In der Beziehung von Personen untereinander findet sich diese Entwicklung in der Familie am ehesten wieder. Stand früher(TM) unbedingter Gehorsam den Eltern oder Großeltern gegenüber auf der Tagesordnung, ist mittlerweile das konstruktive Hinterfragen der ‚gesetzmäßigen Autorität‘ angesagt. Damit meine ich nicht pubertäres Aufbegehren, sondern das Einfordern einer Begegnung der Generationen auf Augenhöhe. Je nachdem, wer die stichhaltigeren Argumente vorbringen kann, ist situativ dominant.

Dominanz an sich ist nichts negatives. In einer hierarchisch organisierten Gesellschaft – und damit auch in einer Demokratie – bedarf es einer Strukturierung.
Während allerdings die klassische Form der Dominanz erniedrigend und konfliktfördernd wirkt, ist situative Dominanz ein Produkt gegenseitigen Respekts und damit überwiegend konstruktiv. Das ist auch das Prinzip der Demokratie: In einer Gruppe diskutieren die Mitglieder auf Augenhöhe miteinander und wertschätzen die Beiträge voneinander. Mehrheitsfähig und damit dominant ist die überzeugendste Darstellung. (Soweit die Theorie. Die aktuell beobachtbare Demokratie hierzulande sieht leider anders aus.)

Diese Flexibilität in der Ausübung und Anerkennung von Dominanz widerspricht aber den herrschenden Vorstellungen von Machterhalt der bestehenden Eliten. Schließlich ist das Dominieren durch Repression einfacher als die fortlaufende Diskussion von Ideen. Und das merkt man insbesondere an der Art, wie Politik und Wirtschaft in Deutschland derzeit gelenkt werden.

Das Erkämpfen von Respekt ist also nur der erste Schritt nach der #Aufschrei-Debatte. Die Bereitschaft, mit jeder Auseinandersetzung Dominanz situativ neu zu ermitteln und anzuerkennen, erfordert ein substanzielles Umdenken bei allen.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

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