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Vive la révolution!

Es begehrt auf in mir. Heute morgen konnte ich es noch nicht ganz verorten. Ich las vom Rücktritt Varoufakis‘, seine Begründung, alles in der Bahn zur Arbeit – die ich erst mittags nahm, weil der Mini am Abend zuvor zu fiebern anfing und auch sonst einen eher klammen Eindruck machte.
Am Morgen also die Große zur KiTa bringen, erneut Verabschiedungsschmerz, sie möchte sich gar nicht von mir trennen, Krokodilstränen. In der Bahn sitzend sinniere ich darüber, warum ich ihr das antue, die Sichtweise der Holden im Hinterkopf. Musik auf den Ohren.

Ich bin verwirrt, erstaunt, traurig, unfähig, meiner eigenen Reaktion zu begegnen. Was passiert hier?

Das macht alles keinen Sinn. Wo ist der Link zwischen all diesen Themen, warum berührt mich das so?

Und langsam dämmert es mir.

It’s all about power

Ich schimpfe mich selbst Gleichberechtigungsfetischist. Das hat was mit Augenhöhe, Respekt und Demut zu tun. Und dieses Empfinden ist bei mir so ausgeprägt, dass es schon 2013 mich zum Bloggen animierte. So sehr, dass ich dafür extra einen neuen Blog ins Leben rief: den Teilzeitpazifisten.
Ich will, nein kann nicht ruhig bleiben, wenn ich sehe, wie mittels Hierarchien Menschen zu Dingen gebracht werden, die sie nicht wollen. Diese Form der Machtausübung ist mir zutiefst zuwider. Die bloße Definition eines Sollzustandes, einer Norm, die mittels hierarchischer Macht durchgesetzt werden soll: da stellen sich mir die Nackenhaare auf.

Scheinbar zusammenhanglos?

Unsere Große geht in die KiTa. Ich habe das nie groß hinterfragt, für mich war es selbstverständlich. Eine Referenz, wie ein Kind auf eine KiTa reagiert, hatte ich nicht. Aber die Konstanz in der Ablehnung der KiTa durch das Tochterherz, die bald ein Jahr dort verbracht hat, macht mich nachdenklich: Ist es schlicht meine selbst erlebte Norm, Kinder haben nun mal zum Erlernen sozialen Verhaltens dorthin zu gehen? Ist das eine Norm, um das Zusammenleben zu erleichtern oder dient sie schon der gleichförmigen Ausrichtung von Kindern in der Gesellschaft?

Varoufakis ist als griechischer Finanzminister zurückgetreten.

Dabei ist er noch nicht mal ein Jahr im Amt. Er tat es laut eigenem Bekunden, um die Verhandlungen nach der Ablehnung der neuerlichen, noch tieferen Verschuldung durch die Annahme von neuen Krediten der EU, verbunden mit Vorschriften, Normen und Regulierungen, zu vereinfachen. Weil die Verhandlungspartner ihn und seine Ideen verteufeln*. Er gewinnt mit seinem Ministerpräsidenten das Referendum und tritt trotzdem ab? Die Aufgabe persönlichen Vorteils zu Gunsten anderer, das geht in einen machtversessenen Kopf nicht rein.

Heike erkrankt an Krebs. Während ihrer Schwangerschaft. Und entschließt sich, offensiv und offen damit umzugehen. Auf Twitter formiert sich ein Kreis von Menschen, die, obwohl teils persönlich gar nicht mit ihr bekannt, sie eng und Anteil nehmend durch diese schwere Zeit begleiten wollen. Ein Netzwerk von Menschen, ohne Hierarchie, ohne Machtinteressen. Und einige davon finden sich zusammen, um im Namen ihres Zusammengehörigkeitsgefühls etwas für die Krebsforschung zu tun – das #teamschnipsflausch entsteht.

Bleib berechenbar, Baby!

Da ist sie auch, die mysteriöse Verbindung zwischen unserem KiTa-Kind, Griechenland und dem Geschehen rund und das #teamschnipsflausch. Was mich bei der KiTa verunsichert, bei Griechenland ärgert und bei den Flauschern freut sind zwei widerstrebende Ordnungsformen: Netzwerke und Hierarchien. Diesen Konflikt gibt’s auch nicht erst seit gestern:

Um Macht auszuüben, bedarf es der Normierung/Gleichschaltung/Ausrichtung von Menschen. Nur dann kann eine Hierarchie effizient Macht ausüben, mit wenigen viele beherrschen. Das muss zwangsläufig zu Ungunsten der Freiheit von Menschen gehen und verstärkt sich mit der Zeit – denn Gier kennt keine Grenzen. Egal, ob nach Macht, Anerkennung oder weltlichen Gütern. Nur wer sich normieren lässt, bleibt berechenbar. Kontrollierbar. Wir alle wissen dieser Tage, wie es um die Überwachungsgelüste der Mächtigen steht.

So, what’s next?

Was bleibt? Professor Kruse hat es in dem Video kurz auf den Punkt gebracht: Es gilt, die Mächtigen dazu zu bringen, die Kontrolle aufzugeben, die Bildung von Netzwerken zuzulassen. Das geht los mit der Sicherung der Netzneutralität für dieses Internet, in dem dieser Beitrag gerade steht; die technische Basis für die Vernetzung der Menschheit. Und es geht weiter in Politik und Wirtschaft, die jenseits der hierarchischen Konstrukte laufen lernen müssen. Ohne Nationalstaaten für die Verteidigung von Bankinteressen zu gängeln. Ohne die Meinungsbildung und Gestaltungswünsche des Lebens einzuschränken, indem in der EU nach Verabschiedung eines TTIP-Abkommens zu Gunsten des Profits großer Konzerne die nationalen Vorgaben zu Lebensmittelreinheit und -herkunft nicht mehr frei sind.

Das griechische Votum ist ein Anfang. Die Aufregung in der ganzen Welt um das Praktizieren demokratischer Prozesse – einem Referendum eben – in Fragen einer absoluten Machtstruktur des Tauschmittels demonstriert, dass hier grundlegende Prinzipien angerührt werden.

Es gilt, die Machtstrukturen zu ändern. Friedlich wird das kaum funktionieren – welcher Machtmensch gibt schon gern seinen Einfluss ab? Das sind sehr grundlegende Dinge, der Bogen lässt sich von der Wirtschaft über die Politik bis in das Patriarchat spannen, und letztlich geht es nur um eines: Begegnung auf Augenhöhe.

Gleichberechtigung.

 

*der Link ist mit donotlink.com eingebunden, damit der Beitrag nicht auch noch an Relevanz bei den Suchmaschinen gewinnt.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

20 Kommentare

  1. Wow! Ein Rundumschlag und ein klarer Zusammenhang. Das Thema beschäftigt mich auch oft, denn seit meine Tochter auf der Welt ist und ich mich mit einem gleichwertigen, gleichwürdigen Familienleben beschäftige, bzw. wir versuchen es zu leben, tauchen all diese Fragen zu bestehenden (Macht-)Strukturen immer wieder vehement auf.
    Wie viel Gesellschaftskonformität will ich für mein Kind? Und für uns?
    Ich selbst und auch mein Mann setzen uns täglich mit unserer bestehenden Macht auseinander und versuchen, sie nicht willkürlich einzusetzen. Das ist unser Weg und der fühlt sich für uns gut an. Im Bezug auf unsere Umwelt fühlen wir uns aber oft fast einsam und manchmal auch verunsichert oder schlicht traurig.
    Liebe Grüße
    Julia

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    • Ihr seid nicht allein. Ihr seid vielleicht nicht in der Mehrheit, aber wann gingen schon mal Änderungen von einer Mehrheit aus?
      Lasst euch nicht einlullen, geht Kompromisse nur da ein, wo euch die gesparte Energie an anderer Stelle mehr nützt, um euren Weg zu gehen.

      Danke für deinen Kommentar, Julia!
      Lieben Gruß, Steffen

      Antworten

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