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Eingewöhnung, die 2te: Mittwoch

Ich höre keinen Wecker mehr. Den brauchts aber auch nicht – denn, für uns eine Premiere: Das Bad ist an einem Wochentag bereits belegt: Die aufgeregte große Schwester war bereits auf dem Topf und zieht sich gerade an. Und das kleine Gesicht spiegelt: Pure Begeisterung.

Ich bereite ein kleines Müslifrühstück für die Kids vor, die Erwachsenen kriegen eine größere Portion: Für die Kiddos gibt’s ne Stunde später ja schon das zweite Frühstück in der KiTa. Alle essen auf, und die Reaktion kommt wie in einem schlechten Kitsch-Kinderfilm: Die Sonne kommt raus. Aber wie!

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Routinen

Die Kinder kommen – wie vorher schon – gemeinsam in den Wagen. Das Fleischbärchen hat bereits verstanden, dass auch ihr Bruder in der KiTa bleiben wird und ist wie auf Droge. Dank 14 Personenzügen pro Stunde plus Güterverkehr frönen wir einer weiteren Routine: Dem Warten am Bahnübergang. Beide singen. Der Lütte hat gleich sein Lieblingskinderliederbuch mitgenommen, woraufhin die große Schwester natürlich nicht nachstehen konnte…

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In der KiTa schließlich auch alles erst mal wie früher: Das Fleischbärchen entledigt sich seiner Kleidung und stürmt unrund – mit einer Hand noch den zweiten Hausschuh applizierend – in ihren Gruppenraum.

Als der kleine Bruder und ich schließlich zu seinem Gruppenraum gehen, verblüfft mich zweierlei: Erstens will er seiner Schwester gleich sofort den Gruppenraum stürmen (in Vollmontur natürlich). Zweitens gehr er nach meiner Einlassung „erst ausziehen“ zielstrebig zum Fach, in dem seine Hausschuhe stehen. Als hätte er nie etwas anderes gemacht. Mitten zwischen zwanzig anderen Fächern.

Kaum betreten wir den Gruppenraum,  bin ich wieder abgemeldet, das Liederbuch plumpst auf dem Boden, er erobert sich ein Schaukelpferd und fängt lächelnd an zu wippen.

Ich ziehe mich in eine Ecke des Raums zurück, in der er mich nicht sieht. Dafür aber andere… und weil ich das Liederbuch in der Hand hab, setzt sich auch direkt das erste Kind auf meinen Schoß, die stille Aufforderung aussendend, dass ich ja nun das Buch vorlesen solle.

Ich fang also leise an, die Lieder zu singen…

…als wir fertig sind mit dem Buch, drängt sich ein halbes Dutzend Kinder mit halboffenen Mündern um mich. Scheinbar sind sie singende Männer nicht gewohnt.

Der siebte Sinn

Der kleine Mann ist natürlich nicht dabei. Erst, als es klar wird, dass Aufräumen ansteht und danach der offenkundig mit negativen Konnotationen bevorstehende Wickelraum als nächstes auf der Agenda steht, sucht er instinktiv meine Nähe.

Wickeln ist doof, die Mitteilung krieg ich direkt, diesmal ist aber auch schneller Ruhe. Ich hole eine Betreuerin dazu, die beim Anziehen erst hilft und schlussendlich übernimmt. Immer noch nicht das Wahre für ihn, aber die Beruhigung auf meinem Arm dauert statt Minuten wie am Montag nur knapp zehn Sekunden, dann sind die Töpfe der anderen Kinder wieder interessanter.

Es geht zum Morgenkreis, der heute wieder auf seinem angestammten Platz stattfindet (den Tag zuvor stand dort noch eine Höhle). Und siehe: Monsieur sitzt mit auf dem Teppich dabei und beobachtet alles seeehhhr genau und fasziniert.

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Das erste GoodBye

Es geht weiter zum Frühstück; zielstrebig erobert er sich einen Platz. Für mich wird es Zeit – ich verabschiede mich von ihm und verlasse den Raum. Essensfixiert, wie er ist, nimmt er wahr, was passiert, stört sich aber nicht dran. Der Hirsebrei mit Apfelmuß ist einfach viel wichtiger, natürlich.

Kaum vor der Tür angekommen, überfällt mich der Schwermut. Ich schlucke ein paarmal kräftig. Und verfluche den nicht vorhandenen Mobilempfang. Wie ein kleines Déjà-vu kommt es mir vor, die nahezu identische Gefühlslandschaft zur Eingewöhnung der großen Schwester schwappt quer durch Herz und Hirn.

Ich streife quer durch die KiTa, lese mir jeden verdammten Aushang aller Gruppen durch und suche verzweifelt einen Punkt im Haus, an dem ich Netz hab, um mich ablenken zu können. Fehlanzeige.

Dafür poppt die Tür des Gruppenraums der großen Schwester auf – sie wollen einen Spaziergang machen. Doof, weil ich sie eigentlich hatte mit zurücknehmen wollen, wenn wir für heute fertig sind… also Planänderung.

Tränen ja, Schwierigkeiten nein

Als ich schließlich kurz vor 10 nach anderthalb Stunden den Raum wieder betrete, sitzt der kleine Mann gerade auf dem Arm einer Betreuerin, Tränen auf den Wangen. Die rührten aber nicht von meiner Abwesenheit her, sondern von einem verlorenen Intensivstreit um ein Spielzeug. Als er mich erspäht, ist natürlich der Arm der Betreuerin nicht mehr interessant. Papa ist da!

Erschöpft legt er seinen Kopf auf meine Schulter. Er wirkt ein wenig müde, das ist aber wenig verwunderlich: Normalerweise schläft er bis acht Uhr morgens oder länger. Und heute ging’s bereits kurz vor sieben ins Bad… wie sich das in Zukunft noch gestaltet: Ich bin gespannt.

Darüber hinaus waren das tatsächlich die einzigen Tränen, die er vergossen hatte. Wir fahren statt direkt nach Hause auf den Wochenmarkt, kaufen ein und kommen kurz vor 11 zuhause an. Ein wenig Räumen, Wäsche anstellen, Essen vorbereiten – ein halbes Kilo später seufzt er erleichert, aber noch immer stehend; in dem Moment erscheinen Oma und Opa. Sie wollten auf dem Rückweg vom Markt kurz reinschauen, wir bestellen mal eben fix ein Fahrrad, der kleine Mann hat derweil seine Ruhe, um zu erledigen, was ihn die Aufregung des Tages bisher nicht erledigen ließ – und dann ist gut.

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Tribut

Die Aufregung fordert ihren Tribut. Ich trage ihn nur noch kurz hoch, er schläft binnen fünf Minuten ein, und ich kann die Pause nutzen, um die Wäsche aufzuhängen (und die sehr gut getrocknete von vor knapp zwei Wochen abzunehmen), die Küche klar zu machen, mir etwas zu essen zu kochen. Eine satte Portion für die Lunchbox der Mama für morgen inklusive. (Aber die Bilder kennt ihr ja schon von den letzten zwei Tagen 😉 )

Einen Pferdefuß hat der Tag dann doch: Die große Schwester ist schwer geknickt, weil ihr Bruder gar nicht in der gemeinsamen Nachmittagsgruppe auftauchte. Vor lauter Aufregung hat sie de Mittagsruhe noch nicht einmal zum Schlafen genutzt, sondern blieb wach. Nu liegt sie halt zuhause im Bett ihres Bruders und hört leise Musik, während ich letzten Zeilen tippe.

Heute abend also Eingewöhnungsgeschichten, damit sie versteht, warum ihr Bruder diese Woche noch nicht mit ihr gemeinsam die Nachmittagsgruppe bespielt. Und für mich die beruflich gefärbte, wichtige Erkenntnis des Tages:

Alle Stakeholder umfassend abholen. Auch – und gerade – Dreijährige.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

36 Kommentare

  1. Na, das klappt ja super mit dem Kleinen. Wow, 1,5 Stunden sind eine lange Zeit. Auch für die Eltern, wie ich nun weiß. Wir haben übrigens einen gemütlichen Raum mit Sofas, Zeitschriften, Kaffee und Handyempfang für die Eltern, die wir mal für eine Weile verschwinden lassen wollen. 🙂

    Es ist ein gutes Zeichen, dass er sich, nach dem verlorenen Streit, von der Erzieherin hat trösten lassen. & du kamst genau im richtigen Moment wieder: So ein wenig „vorgetröstet“ von der Erzieherin konnte der direkt in deine Arme hüpfen – besser geht’s nicht.

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