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S(Z)eitenwechsel

Wenn es nach mir geht, sollten Kinder gestillt werden, so lang sie denn wollen und es die Natur eben ermöglicht.

Während sich das Fleischbärchen nach gut dreizehn Monaten selbst von Mutters Brust verabschiedete, mussten wir den Junior unfreiwillig von der Naturkost entwöhnen. Schweren Herzens stellte Anne nach acht Monaten das Stillen ein, denn allen Gegenmaßnahmen zum Trotz nahm sie weiter unvermindert ab und wog zuletzt 56kg.

Fließender Wechsel

Und so kam ich dazu, ein Kind zu stillen. Ja, nicht mit Muttermilch. Ja, es ist natürlich technisch gesehen nicht exakt das gleiche. Und doch, die Nähe, die Geborgenheit, die Sicherheit – all das erhielt der nach wie vor nicht auf Flüssigmahlzeiten verzichtende Nachwuchs ab sofort von mir. Anfänglich noch mehrfach abends und nachts, später reduzierte sich sein Appetit auf eine spätabendlche Mahlzeit, die dafür etwas opulenter ausfallen durfte.

Konstanz und die Folgen

Doch nicht nur das Stillen war jetzt mein Job. Wie auch schon bei der großen Schwester war – und bin – ich konsequent derjenige, der nachts aufsteht, das Kind holt, es wickelt, bei schlechten Träumen beruhigt. Ich stehe morgens als erster auf und bereite das Frühstück vor. Bringe die Große, wann immer es beruflich möglich ist, in die KiTa. Versuche, die Kinder jeden Abend mit oder allein ins Bett zu bringen.

Wie sehr das alles auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind wirken kann, merken wir beim Kleinen mittlerweile sehr deutlich: War und bin ich beim Fleischbärchen die durchgängige Nummer Zwei, so verschob sich das beim Kleinen sehr spürbar: Stehe ich morgens auf und er bekommt das mit, ist Weltuntergang. Steht die Mama auf, dann kann ich ihn beruhigen.

Schon nach einem zweiwöchigen Urlaub im Sommer 2015 wird seine Präferenz sehr deutlich; tagelang ist er untröstlich, wenn ich morgens zur Arbeit aufbreche.

Nach knapp drei Wochen Urlaub am Ende des Jahres ist es ähnlich: Ohne Papa geht nichts, stundenlang wird Mama angeschrien.

Verantwortung ohne Wenn und Aber

Am 14. Januar schließlich begehen der jüngste Spross der Familie und ich ein stilles Jubiläum gemeinsam, miteinander, in vertrauter Nähe: Seither stille ich ihn länger als Anne. Jeden Tag, egal, wie anstrengend der Vollzeitjob ist. Egal, ob ich krank bin oder das Kind. Als wir schließlich letzte Woche alle nacheinander erkranken, genieße ich den ersten Abend seit meinem ‚Amtsantritt‘ erschöpft und dankbar, dass Anne mich ablösen möchte.

Kürzlich schrieb ich, dass ich ab Februar die Kinder täglich aus der KiTa abholen werde und mit dem Abendessen auch ins Bett bringen werde. Anne kehrt in den Beruf zurück, übernimmt die Frühschicht, für die Notfälle müssen wir uns etwas überlegen bzw. hoffen auf die Großeltern vor Ort.

Total normal

Warum ich das alles aufschreibe? Weil all das total normal für die allermeisten ist – für Mütter eben. Und mir ist überhaupt nicht klar, warum das in irgendeiner Weise etwas besonderes sein sollte. Alle, die wir Eltern sind, sollten das als selbstverständlich erachten. Und kommt mir nicht mit irgendwelchen wichtigen „Projekten“ bei der Arbeit: Dort, wo jemand bedingungslos auf euch angewiesen ist, weil Grundbedürfnisse nicht selbstständig gestillt werden können, wo Urvertrauen nicht nach eurer Laune fragt, sondern Nähe einfordert – da werdet ihr gebraucht. Da könnt ihr verinnerlichen, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen. Dort lernt ihr Priorisieren. Und nicht zuletzt, was im Wirtschaftsleben so bitter fehlt, wenn finanzorientierte Interessen dominieren: Einfühlsamkeit.

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Dankbarkeit?

Wenn es überhaupt Dankbarkeit für einen solchen Einsatz für den Nachwuchs geben sollte, dann sucht euch eine Person in eurer Nähe: es gibt sie zuhauf. Und ein kurzes Innehalten, Respekt erweisen, das wirkt um Welten mehr, wenn es persönlich geschieht.

Ich krieg allen Dank der Welt, den ich je brauchen könnte, von den kleinen Fingerchen, die mich gleich bei der nächsten Stillmahlzeit wieder verschlafen und unendlich zärtlich erkunden.

Autor: steffen

Lebt. Liebt. Streitet.

47 Kommentare

  1. Ein schöner Text, der gerade sehr gut in die Diskussion passt, die unter anderem der Spiegel offenbar angestoßen hat. Vielleicht kennst Du den Blogbeitrag von Cornelia schon? https://aufzehenspitzen.wordpress.com/2016/01/11/die-wenn-man-uns-laesst-vaeter/ Hier geht es um eine Dokumentation, den Link zu der Spiegel Diskussion brauchst Du vermutlich nicht 😉
    Ich freue mich ehrlich, dass es in meinem Umkreis so viele (feministische) Väter gibt, die eine wirklich paritätische Teilung nicht nur propagieren, sondern wann immer es beruflich möglich ist, auch selbst durchsetzen. Ja, es ist für Mütter „normaler“ als für Väter, auch heute noch.

    Trotzdem ein ABER, und das hat mit Self Care zu tun. Für alle, die Kinder aufziehen, gilt heute: Die Gesellschaft (TM) hat wahnsinnig übersteigerte Erwartungen an Mütter und Väter. Das ist schlicht Fakt. Hinzu kommen die eigenen Vorstellungen und Erwartungen, die eigenen Ansprüche, das so gut wie möglich hinzukriegen, die Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen, für sie dazusein, den Partner nicht zu vernachlässigen etc. Eigentlich brauchen Eltern heute keine Arbeitsplätze außerhalb der Familie, die ist nämlich für mehrere Menschen nach den neuen Konzepten von Elternschaft Arbeit genug. 😉

    Bei allem, was bei Euch gut läuft, was Ihr teilt, wie Ihr arbeitet und Euer Familienleben handhabt: Räumt Euren Bedürfnissen bitte auch genügend Raum ein. Nicht später, wenn die Kinder größer sind, sondern jetzt. Du kannst eine absichtlich begangene Vernachlässigung Deiner Selbst nicht wieder aufholen, das kann niemand.
    Für Annes Wiedereinstieg alles, alles Liebe und Gute. Lass sie nicht vergessen, dass die Arbeit zwar wichtig ist, es sich dabei streng genommen aber nicht um die Befriedigung ihrer Bedürfnisse handelt. 😉 Auch für die muss zusätzliche Zeit eingeplant werden.

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  2. Liebe Juna,
    du sprichst mir aus der Seele. Eltern sollten meiner Meinung endlich wieder auf ihr Bauchgefühl, auf ihren Mutter- und Vaterinstinkt hören und nicht blind irgendwelchen weiteren, noch unerreichbareren gesellschaftlichen Rollenmodellen hinterherrennen. Sie sollten das tun, was ihnen und ihrer Familie nachhaltig(!) gut tut.
    Das ist auch bei mir der Grund, warum ich wieder arbeiten gehe. Rein finanziell gesehen wäre meine Arbeit durch die anfallenden Kittgebühren für zwei Kinder und die Fahrtkosten zur Arbeit eine echte Nullrechnung. Doch ich habe das große Privileg (in der heutigen Gesellschaft kann man das wohl leider tatsächlich so bezeichnen) einen echten Herzensberuf erlernt zu haben. Ich bin Geigenbauerin. Damit kann man als Angestellte nicht reich werden. Um ehrlich zu sein, würde ich mit einem Aushilfsjob an der Kasse irgend eines Supermarktes vermutlich sogar mehr verdienen. Aber ich liebe diese Arbeit, den Duft der Materialien, die Klänge in der Werkstatt und v.a. das Gefühl, wenn man Abends etwas in den Händen hält, dass man mit seinen eigenen Händen geschaffen hat. Und ich freue mich ehrlich gesagt sogar auch auf die Stunde Hin- und die Stunde Rückfahrt mit der Bahn, bei der ich einfach mal nur Träumen, Musik hören, ungestört Twittern oder schlicht nichts tun kann und in dieser Zeit gefühlt keinerlei Verantwortung trage. 😉 Danke für deine Zeilen!

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